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Wut und Trauer

Trauer und Wut, und die vielen Variationen davon, sind die Emotionen, die meines Erachtens in unserem Leben die größte Rolle spielen. Sie sind gekoppelt mit der Angst und ihren beiden Reaktionsmustern Angriff und Flucht. Wobei die Angst einer tieferen Region unserer Persönlichkeit angehört. Wut, und vor allem Trauer, gehört mehr in die soziale Ebene. Hier beginnt die Schwierigkeit der Definition: Die Angriffslust des einsamen Tigers ist keine Wut und das Entsetzen der angegriffenen Gazelle ist keine Trauer.

Trauer und Wut haben also immer mit Beziehung zu tun, mit Bindungsfähigkeit und Beziehungsfähigkeit. Sie haben mit der Angst zu tun, allein gelassen zu werden und somit hilflos, der Umwelt preisgegeben zu sein. Hierhin gehören auch viele Tiere, die in Gruppen oder anderen sozialen Verbänden leben. Auch sie werden von Trauer und Wut bewegt und drücken sie aus.

Beim Menschen kommt nun ein entscheidender Unterschied hinzu: Die Beziehungsfähigkeit drückt sich nicht nur in Bezug auf das Äußere, sondern auch auf das Innere aus. Das soll heißen: die nach innen gewendete Beziehungsfähigkeit hat birgt die Eigenart -und das "zeichnet" sie vor den Tieren aus- der Verdrängung. Hier liegt eine enorme Gefahr für den Menschen! Der Verdrängungsmechanismus steuert den Grad der ins Bewusstsein aufsteigenden Emotion und Gedanken. (Verdrängung steht hier für alle Mechanismen, die uns von der Realität, dem unmittelbaren und direkten Erleben, abhalten)
Durften wir als Kinder nur begrenzt unsere Trauer oder Wut leben, so lernten wir, sie zu verdrängen und das bedeutet, wir lernten, sie nicht zuzulassen. Das heißt aber nicht, dass diese Emotionen nicht entstanden. Sie wurde nur mehr oder weniger "im Keime" erstickt. Sie durfte nicht ausgedrückt werden. Sie war in dem sozialen Umfeld nicht erwünscht und konnte sich nicht entfalten. Das hatte verheerende Folgen..

Die natürlichste Ausdrucksfähigkeit, die als Korrektur des sozialen Lebens von der Natur eingerichtet wurde, wird manipuliert und unterdrückt. Die Manipulation kann ich noch akzeptieren, die Unterdrückung nicht. Darauf komme ich gleich noch zurück.
Anstelle dieses natürlichen Korrelats entwickelt die Gemeinschaft Normen, Werte und Gesetze. Somit wird das Zusammenleben nicht mehr vom "Bauch" gesteuert, sondern vom "Kopf". Das ist für mich natürlich völlig in Ordnung und im wahrsten Sinne des Wortes Not-wendig, wenn nicht die zwangsläufig die Erziehung zur Unterdrückung und Verdrängung der Emotionen folgen würde. Diese Unterdrückung entsteht aus Unfähigkeit. Die erziehenden Erwachsenen sind unfähig -oder unfähig gemacht worden- den Unterschied zwischen "Bauch" und "Kopf" zu erkennen. Daraus entsteht vor allem durch kirchlichen Einfluss: der Bauch ist böse, teuflisch; der Kopf ist gut, also göttlich.

Hier liegt für mich eine große Unkenntnis verborgen:

1. Die Wut als böse zu deklarieren hat einen vernünftigen Kern. Denn eine unbeherrscht ausgelebte Wut kann eine Gemeinschaft zerstören.

2. Die Trauer wurde gefördert, wie man es bei jeder Beerdigung erleben kann, denn sie trägt zur Förderung des Gemeinschaftsgeistes bei.

3. Was völlig übersehen oder missachtet wurde: Wut und Trauer sind zwei Seiten der gleichen Münze.

Exkurs:
Was ist und wie entsteht Wut und Trauer?
Wenn wir unser Körperbewusstsein genug schulen, so können wir folgendes feststellen:
In unserem Körper verlaufen verschiedene Energieströme. In der Ebene der Emotion verläuft die Energie im inneren des Körpers vom Kopf über den Ringmuskel des Afters, an den Innenseiten der Beine, über die Zehen in die Erde hinein. Das ist die "Normalität", dann fühlen wir uns gut. Nun kommt eine Situation, die bedrohlich erscheint. Der Durchgang durch den Ringmuskel schließt sich automatisch, die Energie wird angesammelt und steigt in unserem Innern hoch. Wir sind bereit zum Handeln, zum "Uns ausdrücken". Wird dieses "Aufsteigen" der Energie durch dominierende Werte und Normen unterdrückt, entsteht eine Verdrängung. Die Energie wird entweder im Keim erstickt, auf der Höhe des Zwerchfells gestoppt oder im Hals abgebremst (erstickt). Geschieht dies oft, müssen wir "Wächter" in diesen drei Bereichen aufstellen: die Verspannungen.

1. So kommt es, dass viele Menschen, ohne es zu merken, im unteren Bauch und Rückenbereich dauerhaft verspannt sind. Daraus entstehen mit den Jahren die vielen Unterleibs- oder Rückenschmerzen bzw. -Krankheiten.
2. Bleibt der Bauch offen und sitzt die Sperre im Sonnengeflecht (Magenbereich), so fühlt sich der Mensch weiterhin lebendig, energievoll, aber hat enorme Probleme, mit den Unwägbarkeiten in Beziehungen, umzugehen. Er neigt zu starken Projektionen und "Ungerechtigkeiten". Letztere sind nicht aus Böswilligkeit entstanden, sondern aus Unfähigkeit.
Diese Sperre im Sonnengeflecht erzeugt Magenverstimmungen jeglicher Form bis hin zu Magengeschwüren oder Herzkrankheiten.
3. Sitzt die Sperre im Hals, besitzt der Mensch keine Energiereserven aus der Vitalzone des Bauches. Diese Menschen "zapfen" die Mentalenergien an und flüchten sich dort hinein. Sie wirken oft überspannt, hysterisch, reden viel -aber nur Monologe- und sind zu echtem befriedigendem Dialog nicht fähig.
4. Viele Männer gehören zur Gruppe 1, manche zur Gruppe 3. Viele Frauen zur Gruppe 2 und 3.
Hier liegt für mich die Ursache für die längere Lebenserwartung der Frauen. Im Durchschnitt behalten die Frauen eher den Zugang zu den Vitalkräften des Bauches als die Männer.
Dies soll als Exkurs reichen.

Was hat dieser Exkurs nun mit Trauer und Wut zu tun?
Ich möchte mich wiederholen: Fühlt sich der Mensch angegriffen oder verlassen, so entsteht für ihn eine Situation, in der er reagieren muss. Um reagieren zu können, schließt sich der Ringmuskel und er ist fähig, Trauer oder Wut als Signal für die Außenwelt, zu äußern. Dieses Signal ist immer heilend bzw. gesunderhaltend.
Nun entsteht der Konflikt mit den Werten und Normen vor allem im Bereich der Wut.

Wie ist dies zu lösen?
Hier liegt für mich die eigentliche Bedeutung dieses Weges, den ich gehe. Es ist nicht einsehbar für mich, wenn in vielen Meditationsbüchern über Gelassenheit so geschrieben wird, als wäre Wut und Trauer Ausdruck des Nichtgelassenseins. Ich habe einige in der Persönlichkeitsentwicklung weit fortgeschrittene Menschen erlebt, die sehr wohl Trauer und Wut ausdrückten.
Beispiel: Einem Zenmeister war der Sohn gestorben. Er wurde gefragt, was er danach gemacht habe. Antwort: "Ich habe eine Woche lang Tag und Nacht geweint." Der Dalay Lama wurde gefragt, ob er noch Angst empfände und er antwortete, dass er noch auf dem letzten Flug Angst hatte, als das Flugzeug, in dem er saß, in starke Turbulenzen kam."

Mehr noch:
Tauche ich ein in Trauer und Wut, so führen sie mich durch die "Abgründe" der Persönlichkeit wie durch einen Strudel, an dessen Ende die Freiheit liegt. Das bedeutet allerdings nicht, dass ich mit meiner Wut und Trauer die anderen bedränge, sondern dass ich fähig werde, sie in mir toben zu lassen. Dass ich dieses enorme Energiepotential nicht im "nach außen" gerichteten Handeln verschleudere, sondern dass ich es ehrlich, ernsthaft und "egoistisch" in mir reinigend wirken lasse. Beziehe ich dabei die Außenwelt mit ein, zwinge ich sie zu reagieren. Diese Reaktionen verfälschen immer die Ursache der Trauer und Wut. Es ist dann nicht mehr meine Trauer oder meine Wut. Die größte Gefahr bei diesem Umgang mit den Emotionen liegt allerdings im Selbstmitleid. Den Aspekt des Selbstmitleids sollte jeder einmal intensiv bei sich selbst erforschen.