Wie Oben So Unten

Die Weisheit in uns

(Text vom 04.07.2002 / 9. Feb. 2004)

Ich möchte am Anfang dieses Artikels meine Assoziation zu Platons Höhlengleichnis niederschreiben:
Das Licht der Weisheit strahlt durch uns auf die Außenwelt. Wir filtern dieses Licht und brechen es wie eine Lupe. Da wir dieses durch uns strahlende Licht nicht wahrnehmen können, erkennen wir uns auch nicht als Filter.
Von der Außenwelt wird dieses Licht reflektiert und "zu uns zurückgeworfen". So erscheint uns die Außenwelt entsprechend unseres Zustandes als Lupe oder Filter. Die Welt, wie wir sie sehen, ist ein Spiegel unseres eigenen Istzustandes. Doch wir erkennen die Außenwelt nicht als unser Spiegelbild an. Dieser gewaltige Irrtum bestimmt fast ausschließlich unser ganzes Leben. Ein furchtbarer Gedanke und Zustand.

Bei dem oben beschriebenen Höhlengleichnis erscheinen mir zwei Aspekte entscheidend zu sein:

1.
Jeder weiß, dass die Weisheit in ihm wirkt. Er verlagert aber dieses Wissen auf den Filter, die Lupe, auf ihn als Ego also.
Das heißt übersetzt:
Ich weiß ahnend und unbewusst, dass irgendwo in mir die Weisheit sitzt. Ich nehme diese potenzielle Möglichkeit als Ego in Besitz. Dadurch besteht die Gefahr, dass ich rechthaberisch und selbstgerecht werde. Erkenne ich nicht an, dass die anderen diese Möglichkeit ebenso in sich haben, werde ich egozentrisch. Damit wird mein gewaltiger Irrtum in jeder Situation ausschlaggebend. Ich bin dann die Störung, die mir von außen begegnet. Da ich dies nicht erkenne, wird das äußere Objekt der Störung zur Ur-Sache erklärt. Aus dieser Falle komme ich nie wieder heraus, bis ich diese Verwechslung nicht erkannt habe.
Dabei ist es so einfach: Ich brauche mich nur umzudrehen, meine Sicht zu verändern.

2.
Ich kann erkennen, und dazu ist eine intensive Meditationsarbeit unerlässlich, dass die von außen kommende Störung zum Teil durch mich als Filter oder Lupe erzeugt wurde. Ich aber letzteres zwar habe, aber nicht bin. Dass dies nur ein begrenzter Teil von mir ist, aber nicht die Ur-Sache oder der Ur-Sprung. Identifiziere ich mich nun mit der Erweiterung in mir, bin ich frei. Ich habe dann zwar noch den Filter, doch dieser Filter hat nicht mehr die Wirkung einer Störung, da er seine Ausschließlichkeit verloren hat.

Meditation kann nicht die Aufgabe haben, den Filter oder die Lupe zu beseitigen, damit würde ich mich als einmalige Persönlichkeit auslöschen, und das kann nicht der Sinn der Schöpfung sein. Aber die Meditation sollte (muss) mich wach für diesen Filter in mir machen.In der frühesten Kindheit, bevor dieser Irrtum entsteht, leben wir Menschen unreflektiert. Wir leben aus dem Sein heraus, eben aus dem Licht. Unsere Handlungen sind vom Licht, vom Sein, gesteuert und von unserem evolutionären Stand gefiltert - aber nicht reflektiert. Dies zeigt sich in vielen Äußerungen kleiner Kinder:

Hier das Beispiel eines 6-jährigen, der sehr depressiv und autoaggressiv veranlagt war, der mir in einer Sternstunde dieses spontane Gedicht diktierte:

In meinem Herzen liegt ein Same
Der Same bricht auf
Und eine riesige Blume springt heraus

Mein Herz ist weiß
Von weiß zu gelb
Von gelb zu rosa
Von rosa zu rot

Das Vogelpiepsen hört das Herz
trümmerlich in sich

Ein kleiner Wasserstein liegt neben dem Herzen
Traurig und unglücklich geht er in die Blüte hinein
Als neue Lebensenergie für das Herz

Dieses wundervolle Gedicht diktierte mir dieser Junge in einem Zug. Er drückte sich sonst nur in seinen vielen Zeichnungen mit roter und schwarzer Farbe aus, und erfand fast ausschließlich nur brutalste Weltraumkriege.

Als zweites Beispiel möchte ich hier das "Kritzelbild" einer 3-jährigen zeigen und bitte den Leser, dieses Bild vorbehaltlos in seinen Grundzügen mit dem tibetischen Schöpfungsmandala zu vergleichen:


Welche Bedeutung haben diese beiden Beispiele für uns Erwachsene? Wir brauchen und können Weisheit nicht erringen. Wir brauchen uns nur zu öffnen, und die Weisheit tritt durch uns hindurch. Jedes Bemühen, die Weisheit zu erfassen, ist zum Scheitern verurteilt. Hier trifft die Aussage der Bibel: Und wenn ihr werdet wie die Kinder... ins Schwarze.
Das bedeutet nicht, dass wir wieder die Naivität und Unbedachtheit der Kinder erlangen sollen. Wir müssen die Offenheit, die Neugierde, das Staunen, das darin mitschwingende Ungefiltert-Sein, wieder erringen (Wir müssen um es ringen).
Wir müssen den Mut haben, es wieder zuzulassen. Die Möglichkeit dazu ist uns eingeboren, also nicht verloren. Sie ist nur verdeckt und unter unsäglichem Müll vergraben.

Der einzige Weg dahin geht über die Innenschau und das Horchen und Gehorchen. Wir müssen mit Hilfe unseres Körperbewusstseins wieder empfänglich werden für unsere inneren Impulse und Signale, ohne uns ihnen auszuliefern, aber auch ohne sie zu analysieren und im üblichen Sinne zu kontrollieren. Diese Impulse sind die Grundlage unseres Wertes. Sie machen unseren Selbstwert aus und nicht die Anerkennung durch die Außenwelt.

Sind wir auf dieser Ebene angekommen, sind wir wieder wie die Kinder: Wir dürfen spontan, kreativ und impulsiv sein, ohne aber der Spontaneität, Kreativität und den Impulsen des Filters ausgeliefert zu sein. Waren wir als Kinder diesen Faktoren "ausgeliefert", können wir jetzt unsere Persönlichkeit in die Ebene des reinen Lichtes wissentlich und ahnend ausdehnen. Das kleine Ich, das Ego, mit seinen von der Natur gesteuerten Überlebensstrategien, verliert seinen überwältigenden Einfluss auf uns.

Unter Überlebensstrategien verstehe ich:

Gier (als "Immer mehr haben wollen"),
Hass (als "Ablehnen in jeglicher Form")
Trägheit oder Nichtwissen (in jeder Dimension)

Als Ego sind wir monadisch, also nach außen abgegrenzt, und unterliegen damit den eben erwähnten drei Urkräften der Natur. Wir unterliegen der Identifikation mit unseren Grenzen und somit sind wir der Angst ausgeliefert, die sich gerade durch die Anerkennung der drei Faktoren und der Begrenzung, bildet.
Als erweiterte, gewachsene, erwachte Persönlichkeit verliert diese Angst ihre Macht und Ausschließlichkeit, ja, sogar ihre Existenzberechtigung. Sie löst sich in nichts auf. Wir werden souverän und vor allem: liebesfähig und nicht zuletzt liebens-wert.
Sokrates zum Beispiel wusste das, und so konnte er den Giftbecher trinken.

Nun zum Schluss einen Satz, der eigentlich unter fast jeden meiner Artikel gehört:

Diese Möglichkeit liegt nicht ausschließlich in unserem Denken, zu dieser "Fähigkeit" ist das Körper- oder Leibbewusstsein unerlässlich.