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Was haben Taoismus und Calvinismus mit der Meditation zu tun?

In der Gegenüberstellung dieser beiden Einstellungs- und Denkweisen lässt sich vielleicht besonders gut der Spagat zeigen, in den die westlichen Menschen kommen, die sich auf die östliche Philosophie der Meditation einlassen.

Im Taoismus existiert im Grunde nur das Tao, in dem sich nun die Dualität als Schöpfung formt und stetig verändert. Im 8. Kapitel des Buches über die Goldene Blüte wird dies zum wiederholten Male deutlich ausgesprochen: Im „nicht-tun-und-doch-tun“ liegt die Befreiung. Das heißt, alle Wesen der Erde und so auch die Menschen, können nicht leben, ohne zu handeln. Noch pointierter ausgedrückt: Ohne Handlung kein Erdendasein – nur im Tod existiert keine Handlung. Dies bezieht sich jedoch nicht auf das zielgerichtete, absichtsvolle, vom Willen geprägte, subjektive Handeln des modernen und vor allem westlich geprägten Menschen.

Die Befreiung liegt im absichtslosen Tun. Hat man dieses Grundgesetz begriffen und sich zu eigen gemacht, kann sich das Tao in Form von Raum, Stille und Licht in uns manifestieren und aus uns wirken. Daraus kann man schließen, dass wir, als bewusste Wesen, immer intensiver uns selbst und unsere Art zu handeln wahrnehmen und uns so akzeptieren lernen müssen, wie wir sind. In der Wahrnehmung und Akzeptanz liegt nun die Befreiung. Das bedeutet, dass wir unsere Identifikation ständig überprüfen müssen. Identifizieren wir uns mit dem, was in uns geschieht (Wünsche, Bedürfnisse, Schmerzen, Freude, Leid usw.) oder in der Wahrnehmung dessen was, in uns geschieht. Die Umorientierung verlangt natürlich alles von uns: Wir müssen den gesamten Alltag in unser Bemühen einbeziehen.

Aus dieser Sicht heraus sind alle Artikel dieser Website von mir geschrieben worden. Sie sollen dem Leser Anregung geben, zu lernen, sich wahrzunehmen und sich somit vom Wahrgenommenen zu befreien – sprich: die Identifikation zu wechseln.

Diesem ursprünglichsten „Grundgesetz“ widerspricht die westliche Sicht auf das Leben hier auf der Erde. Im Christentum geht es um einen Dialog zwischen dem Individuum und Gott. Das Individuum hat eine aus der Schöpfung herausragende, feste Größe. Der Mensch ist der zielgerichtet Handelnde, der hier auf der Erde von Gott einen Auftrag (als Individuum) zu erfüllen hat. So kann man verstehen, dass die Christen missionieren, der Taoist jedoch nie. Zu missionieren würde ihm nie in den Sinn kommen.

Noch zugespitzter vertritt der Calvinismus Amerikas die feste Größe des Individuums: Je deutlicher die augenblicklich herrschenden gesellschaftlichen Werte beim einzelnen Individuum zu erkennen sind, um so wertvoller ist es für Gott. Diese gesellschaftlichen Werte bestehen im Kapitalismus in der Leistung und des Besitzes. Doch leider hat sich die Instanz der Leistung dem Besitz untergeordnet. So kann man sagen: Im Besitz kann jeder meine Bedeutung als von Gott geliebtes, menschliches Wesen erkennen. Daraus ergibt sich, dass der Besitz und somit Konsum, nicht nur für die Bedürfnisse sondern auch für den menschlichen Wert, eine enorme Wichtigkeit besitzt. So sind wir nun in unserem Gedankengang beim Konsum und dem hektischen Konsumieren unserer Zeit angelangt: Mein persönlicher Wert und der Wert der Gesellschaft liegen im Konsumieren.

Nun habe ich beobachtet, dass die Menschen, die sich der Meditation zuwenden, im Konsum und Besitz nicht mehr die Erfüllung sehen. Sie haben die Schalheit dieser Einstellung erkannt und wenden sich oft angewidert ab. Sie machen fleißig ihre Meditationsübungen, studieren die alten Weisheiten und sehen darin die Erfüllung ihres Lebens. Je fleißiger sie üben und je mehr sie studieren, desto wertvoller werden sie. Überall sprechen sie vom Erfülltwerden und –sein durch ihre Meditationsarbeit. Sie merken nicht, dass sie in der Falle oder Sackgasse der Leistung gefangen sind. Die Würdigung des Besitzes hat sich nur vom Äußeren auf das Innere verlagert! Sie bleiben also bei der Würdigung des Besitzes. Besonders deutlich wird mir dies immer, wenn die Menschen von ihren Erfolgen bei den östlichen Kampfsportarten sprechen. Nehmen wir Tai-Chi: Sie sprechen dann von den Übungen wie von einem Eigentum: „Wir machen schon diese und jene Übungsreihen. Diese Reihe kann ich gut, jene noch nicht. Da muss ich noch viel üben.“ Oder nehmen wir Klienten in meiner psychotherapeutischen Praxis. Wenn sie einen wichtigen, sie selbst bestimmenden Mechanismus bei sich erkannt haben, fragen sie, wie sie ihn ändern können. Sie sehen durch unsere christlich-calvinistische Lebenseinstellung nicht, dass das Erkennen, die Wahrnehmung also (nicht das gedankliche Verstehen), die Veränderung schon beinhaltet.

Genau so verhält es sich mit meinen empfohlenen Übungen. Man kann sie nicht gut oder schlecht machen. Man sollte sie nur machen und über sie die eigene Wahrnehmung schulen. Dann kann man allmählich beginnen, sich mit dieser Wahrnehmung zu identifizieren und mehr und mehr die Übungen nur als Schlüssel betrachten, die uns helfen, eine Tür aufzuschließen. Ist die Tür geöffnet, brauche ich den Schlüssel nicht mehr. Aber ich muss auch den Mut haben, durch die Tür hindurch zu gehen. (Ich nenne dies „meine Sicht ändern“.) Genau an diesem Punkt beginnt die eigentliche Schwierigkeit der Meditationsarbeit, denn ich weiß nicht, was mich in dem neuen Raum erwartet. Hier schrecken viele jahrelang zurück. Es fehlt ihnen der Mut. An diesem Punkt ist der beste Meditationslehrer machtlos. Je stärker hier in uns das calvinistische Denken wirkt, umso mehr Angst ist vorhanden. Beim taoistischen Denken herrscht die Gewissheit vor, dass es nur besser, befreiender werden kann.

Noch ein Gedankensplitter zu diesem Thema

Der Kapitalismus ist dem Kommunismus überlegen, da er den natürlichen Instinkten des individuellen Haben-wollens und Besitzen-wollens gehorcht.

Das wäre das Tun, um zu tun: Im Tun und Erreichen eines Ziels liegt die Erfüllung.

Im theoretischen Kommunismus wurde dieser Aspekt ignoriert oder übersehen. Daran ist er in der Praxis gescheitert.