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Zen und der Energieaspekt

Das Problem, dass die westlichen Meditierenden grundsätzlich haben, liegt im eigenen Erwartungsdruck und dem Erfolgsdenken.
Zwei Grundgedanken fielen mir auch bei den Meditierenden immer wieder auf:
Was bringt mir das! Ich will mir etwas Gutes tun!

So wird die Meditation zumindest in den Anfängen immer unter diesem Egogesichtspunkt betrachtet. Das ist erst einmal in Ordnung, wenn jedoch dadurch die eigentliche Sicht keine Chance hat zu wachsen, gerät der Meditierende zwangsläufig in große Schwierigkeiten.

Unter eigentlicher Sicht verstehe ich, hier kurz gefasst, dass wir mehr sind als wir uns vorstellen können, dass wir Bewusstseinswesen sind, die fähig sind, aus unendlich vielen Blickwinkeln jede Situation zu betrachten. Wir müssen uns nicht festlegen, wir können uns aber festlegen. Das Alltagsleben wird ein nüchternes Spiel, das seine Schwere verloren hat. Doch diese Sicht entwickelt sich erst, wenn wir bereit sind, wenigstens ein wenig das Ego aufzugeben und uns hinter dem Ego zu verankern.

Überspringen wir diese Entwicklung, die einige Jahre in Anspruch nehmen kann, wird das Ego (eine Bündelung von Mechanismen und Bedürfnissen), den Anschluss an die Energien der transpersonalen Ebenen nicht verkraften, es bläht sich auf. Das hat zur Folge, dass sich vor allem auf der sozialen Ebene und den Einstellungen gegenüber der Außenwelt neue Strategien herausbilden. Der Mensch wird härter und grenzt sich stärker ab, die Mitmenschlichkeit bleibt auf der Strecke. Die negativen Mechanismen verstärken sich, ohne dass es der Meditierende bemerkt, denn subjektiv fühlt er sich sehr wohl.

Da das Ego keine Substanz hat, kann es die Energien nicht speichern. So dass der Meditierende von den jeweiligen Situationen abhängiger wird. Kommt er in Dauerstresssituationen fällt er in tiefe Verzweiflung, denn durch die Meditation hat sich in ihm eine andere Wertigkeit gegenüber seines Energiepegels entwickelt. Er ist gewohnt "viel Energie zu haben". Er erkennt nicht, dass das Ego keine Energie haben kann, es kann nur in Kontakt mit Energien sein, die in tieferen Ebenen existieren. In Ebenen, zu denen unsere Alltagspersönlichkeit keinen Zugang hat.
In Stresssituationen ist das Ego an diese Ebenen nicht angeschlossen und fühlt sich leer und verloren. Wut und Verzweiflung machen sich breit und auch dies führt natürlich zu negativen sozialen Verhaltensweisen. Das Verlorensein-gefühl wird auf die Außenwelt übertragen. Schuldige werden gesucht.

Besonders stark ist diese Tendenz bei den absoluten Meditationsmethoden, zu denen die Zenmeditation gehört. Ich selbst war am Anfang meiner "Meditationsarbeit" mit dem Zen in Kontakt gekommen und war begeisterter Zenanhänger. Nicht nur die stille Meditation, sondern auch das Bogenschießen hatte mich gepackt. Ich erkannte aus meiner subjektiven Sicht die oben erwähnten Aspekte nicht. Bis meine damalige Freundin mir immer deutlicher signalisierte, wie erdrückend für sie mein jeweiliger Zustand nach den Meditationen und dem Bogenschießen war.

Obwohl ich durch meine therapeutische Arbeit geschult war, solche Signale ernst zu nehmen, braucht es doch einige Monate bis die Einsicht durchsickerte, dass dies kein guter Weg für den Alltag war, sondern ein Weg für das Kloster. Es fiel mir sehr schwer diese subjektiv beglückende Form der Meditation aufzugeben und die langwierige Energiearbeit aufzunehmen.

Heute ist mir dieser Unterschied sehr klar geworden:
Mit dem Wachsen in die, für unsere westliche Weltsicht nicht vorhandenen Energieebenen, muss das Ego sterben. Schritt für Schritt wachsen neue Werte und Einstellungen in dem meditierenden Menschen heran. Alte Werte und Einstellungen verlieren sich. Gefährlich ist es, wenn dieser Prozess zu schnell geschieht, denn durch diese Sprünge wird das Neue nicht integriert und das Alte lauert auf einen Ausbruch. Es ist so als würde an einem langsam wachsenden Baum ein Ast plötzlich zu wuchern beginnen. Entweder bricht der Ast ab oder der Baum fällt durch die einseitige Last um.

So muss und kann diese Energiearbeit ein stetes Wachstum in allen Bereichen der Persönlichkeit bewirken und erreichen und fordert vom Meditierenden und dem Lehrer unendliche Geduld. Es gilt, die Zwischenstufen in diesem Prozess zu erkennen und zu honorieren. Es gilt, sich auf diesen Zwischenstufen zu stabilisieren und von "dort" ein "hier" zu markieren: Von hier her den Weg fortzusetzen.

Im Zen hat nur das absolute Ziel einen Wert. Hier gilt zwar die Parole "Der Weg ist das Ziel" aber nach meiner Erfahrung haben die westlichen Meditierenden nur das absolute Ziel im Auge. Diese Einstellung wird noch durch das Verhalten der Meister unterstützt, die alles, was nicht auf das Ziel gerichtet ist als Makyo, als Schein, bezeichnen. Auf dem stufenweisen Energieweg ist alles gleichwertig und wichtig, da es um die Einstellung oder Sicht geht.

Es gilt in der Meditationsarbeit den Aspekt des Beobachtens, der Achtsamkeit und schließlich des Gewahrseins in uns zu finden. Vor allem vom Gewahrsein her sind wir jenseits der Mechanismen, der Festlegungen und somit Problematiken. Wir sind frei, mehr noch: Wir sind in der Freiheit, obwohl wir uns als Individuum noch unserer selbst bewusst sind.
Dieses Gewahrsein gibt es nur als Hier und Jetzt. So ist jede Situation die einzige Situation, an der ich mich reiben und mit der ich mich auseinandersetzen kann. Es gibt weder ein Gestern noch ein Morgen.

Man muss bedenken, dass Zen und die anderen absoluten Methoden aus ihrem Kulturkreis erwachsen und auf einer völlig anderen Persönlichkeitsstruktur aufgebaut sind als der, die wir im Westen durch unsere Erziehung erhalten.
Würde ich in ein Kloster gehen, so ginge ich nur in ein Zenkloster. Dieser gradlinige Weg reizt mich nach wie vor. Da ich aber in dieser Gesellschaft lebe und für eine Familie da sein muss, darf für mich nur dieser langsam wachsende sich integrierende Energieaspekt eine Rolle spielen.