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Liebe und Erkenntnis

(Text vom 10. 11. 2003)

Agape

(siehe auch den Artikel „Nehmen und Geben“)

Die höchste Form der Liebe und die Spiritualität sind meines Erachtens nach in allen Religionen identisch. Ob bei den Sufis (siehe:Rumi, Anm.), den Buddhisten (Mitgefühl) oder Christen (Nächstenliebe) wird dies sehr deutlich. In dieser Liebe zu Gott und von drücken die Religionen die höchste Form des Seins aus. Die Griechen nannten sie Agape. Doch kaum jemand versteht es. Viel zu oft werden diese Hinweise belächelt oder verspottet.

Vor kurzem war eine langjährige Gruppe bei mir, und ich wies sie darauf hin, dass ich für sie ein Spendenkästchen hingestellt habe. Obwohl wir schon oft über das Phänomen des Gebens und Nehmens gesprochen haben, waren wieder einige erstaunte Blicke und ein Lacher da. Dass die Spende nicht für mich ist sondern für die Bedürftigen unter ihnen, die kaum Geld haben, ein Wochenende oder eine Woche der Meditation zu bezahlen, ist ihnen klar. Solche Reaktionen zeigen mir immer, wie tief in uns das Nehmen verankert ist und dass das Geben höchstens eine Folge des Nehmens ist. Damit befinden wir uns in einer letztlich unerträglichen Falle, denn ein volles Glas kann nicht voller werden. Wir definieren uns somit als leeres oder halbvolles Glas, mit dem Wunsch, von anderen gefüllt zu werden. Doch damit machen wir uns von anderen völlig abhängig. Das wäre im materiellen Bereich noch nachvollziehbar. Im spirituellen Bereich der Meditation ist es auf der Ebene von Agape ein unverzeihlicher Fehler und widerspricht jedem kosmischen Gesetz.

Nur eine Form kann gefüllt oder geleert werden. In der Nicht-Form, oft als Leere bezeichnet sieht dies völlig anders aus. Sobald ich hier Nehmen und Geben in meiner Wertung unterscheide, bin ich Gefangener meines Ichs. „Bekomme“ ich durch die Meditationsarbeit viel Energie, besteht die Gefahr, dass ich an ihr zu leiden beginne.

Wenn wir uns in den Fluss des energetischen Gebens und Nehmens einspulen können, sind wir im Sein. Bekommen wir durch unsere Meditation viel Energie, sollten wir sie sofort loslassen bzw. in die Umgebung verschenken. Vermeiden wir dies, können wir mental überdrehen, psychisch sprunghaft werden und körperlich sogar erkranken. Auf der geistigen Ebene besteht die Gefahr, dass wir Halluzinationen bekommen und dadurch für unsere Freunde und Bekannte nur noch schwer ansprechbar sind.

Diesem energetischen Nehmen und Geben entspricht für mich das alte griechische Wort „Agape“. Das bedeutet: Habe ich bekommen, besitze ich und gebe weiter, so bin ich auf der persönlichen Ebene an die Agape angeschlossen. Agape ist somit das reine SEIN in dieser Schöpfung. Sie ist auf unserer Erde die höchste Form der Liebe. Franz Werfel hat dieses Ideal in seinem Buch „Die tanzenden Derwische“ in der Beschreibung des jungen Scheichs wunderbar geschildert.

Weltweit ist beim Mönchstum der Besitz ausgeschlossen. Darin verbirgt sich für mich eine große Gefahr, denn die Mönche werden somit nicht mit der Sucht oder dem Bedürfnis des Besitzes konfrontiert. Bei ihnen besteht dann die Gefahr, dass sie sich mit dem Kloster oder ihrer Religion so identifizieren, dass diese dann ihr Besitz sind. Besonders eindrücklich bezieht sich auf diese Problematik eine Geschichte aus dem Tibetischen: Als einige Räuber die Essschale eines Mönches raubten, brach dieser vor Entsetzen zusammen. Als Gegenbeispiel wird eine andere Geschichte hervorgehoben, in der ein Einsiedler seine Essschale freiwillig abgab, um nicht zu lange in der Meditation gestört zu werden. Doch auch im letztem Beispiel liegen einige Tücken, denn für diesen Mönch war die Meditation wichtiger (er bekam dadurch mehr) als die Essschale.

Einige Gedankensplitter:

1. Wenn wir wirklich lieben, sind wir kein Ego mehr. Wir sind nur eine Schaltstation, die nimmt und sofort weiter gibt. Ohne Bedingungen.

2. In meinen Therapien hatte ich bisher viele Frauen, die als Mädchen in Klosterschulen waren. Nach deren Berichten habe ich nie begriffen, was diese Nonnen unter Liebe verstehen.
(Beispiel: Das folgende ist zugegebener Maßen ein krasses Beispiel. Die Mutter eines Schülers erzählte mir einmal, dass sie als Schülerinnen nur stets mit gesenktem Kopf und an der Wand entlang an den Nonnen vorbeigehen durften.)

3. Liebe ist ein Nehmen und Geben, zur gleichen Zeit. Verschmelzen die Begriffe Nehmen und Geben wird das Wort Liebe daraus!

 

Eros

Gerade bei dem Wort Erotik können wir erkennen, wie die Qualität der Wörter sich ändern kann. Im Ursprünglichen bezeichnete es die seelisch verinnerlichte Liebe. Heute bezeichnet das Wort jede Form des sexuellen Lebens. Eigentlich müssten wir ein neues Wort bilden, um die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Erotik ohne Beigeschmack nennen zu können. Das geht natürlich nicht. Darum möchte ich hier bei diesem Wort bleiben.

Erotik bezieht sich auf den Kontakt zweier Menschen und die daraus entstehende innige Beziehung (einem Austausch von feiner Energie). Sexualität spielt dabei absolut keine Rolle. Es kann eine erotische (innige) Beziehung zu einem Kind sein, zu Freunden, zwischen zwei Frauen und zwischen zwei Männern (ohne die homosexuelle Komponente). In den Gedichten des Begründers der „Tanzenden Derwische“ Rumi ist diese seelische Einstellung sehr deutlich wahrzunehmen. Gerade bei ihm kann man den fließenden Übergang zwischen Erotik und Agape erahnen.
(Hier der Kommentar des Korrekturlesenden: Ich habe gerade Deinen Artikel noch einmal bis hierhin gelesen. So ganz klar ist mir der Unterschied zwischen Agape und Erotik nicht, aber ich hab’s folgendermaßen verstanden: Agape beschreibt einfach das reine Sein in der Schöpfung, Erotik ist die Beziehung (die Liebe) zwischen Menschen, die daraus entsteht. Richtig? –(Mein Kommentar: richtig!)

Während meines ersten Studiums wurde ein Buch von Eduard Spranger hervorgehoben, das ungefähr den Titel trug „Die Erotik in der Pädagogik“. Ohne erotisches „Vermögen“ ist es keinem Lehrer oder Erzieher möglich, in der Tiefe des Schülers etwas zu bewegen. Es ist der Ort unseres Daseins, den Martin Buber mit „Ich-Du“ bezeichnet.

Erotik ist für mich der soziale, menschliche, energetische Fluss, der sich als Innigkeit, Geborgenheit und unerschütterliches Vertrauen zwischen zwei Menschen ausdrückt. Ohne Erotik stehen wir in unserem Leben in der Kälte und absoluten Einsamkeit. Wir sind dann in Zeit und Raum verloren.

Doch wir müssen erkennen, dass uns nicht die anderen allein lassen, sondern dass wir uns unbewusst isolieren und die anderen dies unbewusst akzeptieren und uns in Ruhe lassen. Sie finden bei uns wiederum nicht, was sie unbewusst suchen. Wir leiden dann an den unbewussten Signalen, mit denen wir uns die anderen „vom Leibe halten“ und bemerken es nicht.

Das Echo bei einem unbelaubten Wald bleibt aus. Nur der belaubte, kräftige, gesunde Wald wirft ein starkes Echo zurück.

Demnach können wir uns noch soviel anstrengen, unsere Sehnsucht nach Erotik und unser Grundbedürfnis, diese durch andere gestillt zu bekommen, werden nie zufrieden gestellt werden können. Erst wenn wir die erotische Eignung in uns entdeckt haben und in Kontakt mit ihr sind, wenn wir sie geben oder verschenken können, werden wir sie auch empfangen. (Ich empfehle jedem, meine Artikel über das Erden ernsthaft zu lesen und die angebotenen Übungen zu machen.)

Das wussten die Weisen aller Zeiten, und in dem christlichen Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ wird dies auf den Punkt gebracht.

Haben wir unser Erleben aus der Erotik gefunden, so ist der Weg zur absoluten Glückseligkeit in der Agape (grenzenlosen Liebe) frei. Ohne Erotik ist der Weg nicht begehbar.

Also gilt es in Beziehungen jeglicher Art, unsere Reaktionsmuster zu erkennen, aber nicht zu bewerten. Unsere Abhängigkeit vom Bewerten, Analysieren und Kommentieren ist Teil unseres „in der Kälte sein“. Verbieten wir uns nun dieses sich Festlegen usw. wandern wir noch weiter in die Kälte. Erkennen wir klar dieses Bewerten, sind wir wieder über das Erkennen ein Stück in der Erotik.

Erotik ist energetische Kraft, ist unsere Vitalität in jeglicher Form, ist Gesundheit, ist Humor und Freude, ist inneres Fließen. Sie ist das Jungsein in uns. Da kann der Körper seinen genetisch bedingten Alterungsprozess durchlaufen. Er hat keinen Einfluss auf uns, denn wir sind eigentlich zeitlos. Wir sind Weite und Raum. In dem Zustand der Agape schließlich verschwindet auch der Raum, und so leben wir dort im absoluten Hier und Jetzt. Eine Ahnung davon erfüllt uns schon in jeder echten erotischen Beziehung und Begegnung.

 

Sex

So wie es einen fließenden Übergang von Erotik zu Agape gibt, so gibt es ihn auch zwischen Sexualität und Erotik. Gerade darauf müssen wir achten. Achten wir nicht darauf, wird es in den Beziehungen schwierig. Der eine Partner sucht vielleicht in diesem Augenblick Erotik und der andere einfach Sex. Schon sind enorme Beziehungsschwierigkeiten entstanden.

In einigen tantrischen Wegen Tibets und Indiens versucht man über die Sexualität Agape zu erreichen. Ich bin sicher, dass dies möglich ist, im „Ganzkörperorgasmus“ ist Agape mit Sicherheit für Bruchteile von Sekunden erreicht bzw. anwesend. Das könnte die Ursache für die Sucht vieler nach Sex erklären. Doch der Weg ist versperrt, wenn die Brücke zur Erotik nicht stabil ist. Dann entsteht eine Sucht nach und zwanghafte Abhängigkeit von Sex und daraus wiederum Leid und Frustrationen. Aus einem Suchenden ist ein Getriebener geworden.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich spreche hier selbstverständlich nicht gegen Sex, und natürlich sucht die „tierische“ Neigung in uns seinen Anteil nach Erfüllung. Wir werden aber darin mit Sicherheit keine Erfüllung finden, wenn wir die Erotik außen vor lassen.

Beispiel: Vor vielen Jahren kam ein junger Mann zu mir in Therapie. Er war ein klassischer Narzisst. Das erste, was er mir erzählte, war, er habe schon mit 600 Frauen geschlafen. Er merkte natürlich nicht, wie er mir in seinem Imponiergehabe leid tat. Wenig später ging er nach Poona und wurde Baghwanschüler. (Baghwan war ein indischer Meister, der die 3 trantrischen Methoden des sexuellen Weges in den Mittelpunkt stellte.)

Die Sexualität ohne Erotik ist kalt. Bei diesem Klienten, sowie vielen Männern, dient sie nur der Triebabfuhr. Dann benutzen sie die Frauen. So lange die Frauen auf „Schwangerschaft progammiert“ sind, hat dies wohl keine Auswirkung auf die Beziehung. Doch die Frauen schauen schneller auf Beziehung (Erotik) als die Männer, und schon beginnen die zwischenmenschlichen Probleme. Die Partner sprechen von diesem Moment ab aneinander vorbei, und es beginnt die Gefahr der Entfremdung.

Auf die Meditation bezogen:
Zu Beginn meiner Meditationsarbeit las ich in vielen Büchern Warnungen vor der Sexualität. Ich war davon sehr irritiert. Später wurde mir klar, dass dies nur auf den Sex gemünzt sein konnte (so hoffe ich). Für einen Meister, der in der Agape lebt, ist natürlich die Sexualität etwas völlig abartig Tierisches. Gehen wir den inneren Weg im Alltag, gehören Beziehungen jeglicher Art zu uns, auch die Ebene der Sexualität. Die einzige Bedingung, die wir auch hier erfüllen müssen, ist die Wachheit, das Gewahrsein im Hier und Jetzt. So dass wir den Anderen in seinem Wesen würdigen, wie wir uns würdigen sollten. Dann sind wir automatisch, gerade auch über die Sexualität, im bedingungslosen Geben und Nehmen - also in der Erotik.

Gedankensplitter:

Reiner Sex macht uns gierig, und Gier verschmutzt uns auf der feinstofflichen Ebene. Gerade davor sollten wir uns hüten.

Wandern wir vom Sex zu Erotik, mit der Tendenz zu Agape, beginnt die eigentliche Ebene der Erkenntnis. So möchte ich behaupten, dass Erkenntnis ohne Liebe oder Liebe ohne Erkenntnis nicht möglich ist.



Anm. Djalal-od Din Rumi ist der bedeutendste Dichterfürst der moslemischen Mystiker, Derwische oder auch Sufis genannt. Er gründete den Sufiorden der „tanzenden Derwische“. Sein einziges Bestreben war, eins mit Gott zu werden.

Siehe auch im Internet unter Google Suche nach Rumi oder Wikipedia.