Wie oben so unten

Die Erkenntnisebene

Diesen Artikel schreibe ich aus der Sicht der transpersonalen Ebene.

Zufriedenheit
Oft höre ich in den Therapien: „Ich habe klar erkannt, dass ich dies oder jenes brauche.“ Das ist für mich keine Erkenntnis, sondern intellektuelles Verstehen.
Leider verwechseln viele Menschen intellektuelles Verstehen mit Erkenntnis.
Intellektuelles Verstehen greift mit Hilfe der Logik auf gespeichertes Wissen zurück. Als nächstes wird das gespeicherte Wissen mit Hilfe der Logik immer wieder neu geordnet, evtl. ergänzt, erweitert, aussortiert oder hierarchisch strukturiert.
Die treibende Energie hinter diesem Vorgang ist meistens die emotionale Energie. Häufiger als wir glauben, verbirgt sich hinter diesem Vorgang die Suche nach Glück. Das bedeutet, wir suchen mit Hilfe der Logik die ideale Lösung, um glücklich zu sein. Haben wir eine scheinbar ideale Lösung gefunden, so erfüllt uns Zufriedenheit und Freude. Doch hier tappen wir sehr oft in eine Falle: Wir erwarten, dass uns die ideale Lösung rundum zufrieden stellt (was wir dann Glück nennen) und genau dies ist unmöglich. Jede Entscheidung ist auch eine Entscheidung gegen etwas. So bietet uns die Ebene der Logik immer nur bedingt eine Erfüllung. Daher möchte ich diese Form der Erfüllung Zufriedenheit nennen.

Erkenntnis
Die gesuchte und erwünschte Erfüllung (das Glück) finden wir erst auf der Ebene der Erkenntnis.
Gelingt es uns, in der Meditation unsere Denkprozesse zu beobachten (dies ist eine unabdingbare Voraussetzung für ernsthafte Meditation), so werden wir beobachten und wahrnehmen, dass unser Gehirn nur zu alltäglichem Denken, logischem Verknüpfen und bildhaftem Erfassen in der Lage ist. Das erfüllende Aha-Erlebnis der Erkenntnis ist jedoch viel mehr.

Was für den nichtmeditierenden Menschen leider nur ein Zufallsprodukt ist, kann für den meditierenden Menschen mit den Jahren Normalität werden. Vor dieser Normalität steht die uralte Formel: „Erkenne Dich selbst.“ Erst wenn wir uns ganz dieser Formel verschreiben, gelingt der Sprung vom analytischen Verstehen zur umfassenden Erkenntnis.
Ich gehe davon aus, und jeder, der sich mit den mentalen Komplexen in sich auseinandergesetzt hat, wird sicherlich zum gleichen Ergebnis kommen:
Die Erkenntnis bedient sich anderer Wege. Sie benutzt zwar das logische und bildhafte Vermögen des Gehirns, doch sie befindet sich jenseits des Gehirns. Sie umfasst die ganze Persönlichkeit und ist die Ebene des eigentlichen Menschen.
Sind wir in der Ebene der Erkenntnis angekommen, empfinden wir uns frei, hell und in Ruhe. In uns ist Freude und Klarheit (Präsenz). Wir werden nur noch selten von den Emotionen beherrscht. (Dies könnte man als Glück bezeichnen.)

An diesem Punkt angelangt, begehen viele den Fehler, die aufsteigenden Erkenntnisse auf ihren Denkprozess übertragen zu wollen. Dies gelingt nie. Daher haben viele weise Menschen versucht, ihre Erkenntnisse wenigstens auf die Bilderebene zu übertragen. Doch selbst ein Bild, eine Fabel oder eine Geschichte kann die Erkenntnis nicht herüberretten. Wollen die lesenden Menschen dann auch noch die Gleichnisse usw. in ein logisches Konzept übertragen, so verliert sich das Wesentliche darin fast vollständig. Das sehen wir sehr deutlich in den herrschenden Religionen.

Doch es ist noch schlimmer: Gehen die Menschen diesen intellektuellen Weg, so stören sie den durch die Erkenntnis angeregten Umwandlungsprozess ihres Inneren. Dieser Umwandlungsprozess macht vielen Angst, denn sie können die Erkenntnis mit ihrem Ego nicht fassen. Sie werden dadurch verunsichert und schon verlieren sie den Kontakt mit der Erkenntnisebene. So fallen sie durch ihre Angst und Verunsicherung augenblicklich aus der Erkenntnisebene heraus.

Nun etwas für den Intellekt:

Methode
Wie schleichen wir uns in die Erkenntnisebene hinein?

  1. Voraussetzung: Die Persönlichkeit muss über Selbsterfahrung, nicht Selbstdiagnose, auf der von mir bezeichneten transpersonalen Ebene angekommen sein. Hierzu gehört, dass das Denken, die Emotionen und der Körper wenigstens zeitweise als Instrument erkannt worden sind. Dann sind wir, als Bewusstsein, mit dem Empfindungsbewusstsein vertraut.
    Das berühmte „Ringen um Erkenntnis“ bezeichnet für mich den ständigen Prozess aus der Identifikation mit der Alltagspersönlichkeit, die beherrscht wird von Körper, Emotion und Denken, in die transpersonale Ebene zu gelangen.

  2. Der Weg: Es gibt natürlich viele Wege, doch die Stufen der Entwicklung sind überall gleich.
    Hier mein Vorschlag:
    Wir laden die Außenwelt über alle Sinne (als Tore) in uns ein. Besonders entscheidend hierbei ist die Empfindung des Hautsinnes. Wir (als wahrnehmendes Bewusstsein) merken dann, dass sich unser subjektiver Zustand verändert.
    Nun horchen wir in uns hinein und werden hoffentlich feststellen, dass sich in uns die Weite eines Raumes befindet. Während dieses Prozesses nehmen wir wahr, wie sich unsere Muskeln entspannen wollen. Dies lassen wir zu.
    Außerdem nehmen wir wahr, wie die Emotionen still geworden sind.
    Als Drittes nehmen wir wahr, dass es in uns noch denkt, dass wir (als Bewusstsein) jedoch frei vom Denken sind. (Doch hier liegt das entscheidende Hindernis; um dieses Hindernis zu überwinden benötigen wir oft Jahre).
    Nun horchen wir nicht nur, sondern schauen in den sich öffnenden Raum und stellen die uns bewegende Frage: z. B. Was ist Erkenntnis? Jetzt ist entscheidend, dass wir ernst nehmen, was uns ab sofort durchdringt; wir dürfen es nicht hinterfragen. Wir müssen es würdigen. Hinterfragen wir es, verlieren wir sofort den Kontakt mit der Erkenntnisebene und ihrer “Stimme”.

3. Die Erkenntnis ist ein transpersonaler Zustand und verändert unsere Persönlichkeit auf jeder Ebene. Wir müssen lernen, diesen Zustand und diese Veränderung nicht zu stören, sondern zuzulassen. Dann werden wir jeweils ein Stückchen heiler.
Wir können dann aus der Erkenntnis heraus lehren, müssen aber akzeptieren lernen, dass wir vom Intellekt der anderen nie wirklich verstanden werden. Doch die Erkenntnisebene der anderen fühlt sich erkannt und angeregt.
Anders formuliert: Fragen zu beantworten ist eigentlich müßig, denn Fragen stellt immer der Intellekt. Das Wichtige hierbei für den Lehrenden ist, aus der Erkenntnisebene heraus zu antworten. Dann sind die Antworten für den Fragenden zwar oft nicht befriedigend, doch er hört wacher zu und seine Erkenntnisebene ist aufgeschlossener.
Kritische Nachfragen sind jedoch stets zu ignorieren!! Lässt sich der Lehrende auf dieses Nachfragen ein, wird er ins Ego geworfen und gerät in einen rechthaberischen Machtkampf. Das ist für beide Seiten absolut müßig, ja schädlich.

Wer sich intensiver mit der hier aufgeworfenen Fragestellung beschäftigen möchte, lese über das Supramental von Aurobindo, die drei Erkenntnisebenen bei Ken Wilber oder beschäftige sich mit den Gleichnissen des neuen Testamentes.

Eine Beobachtung möchte ich, um besser verstanden zu werden, vorwegschicken: Haben wir uns zu sehr an ein religiöses Weltbild gebunden, gelingt uns dieser Erkenntnissprung nur sehr schwer, denn unser Denkapparat hat dann stets ein Ziel vor Augen, von dem her er alles einzuordnen versucht. Wir kommen hiernach aus unserer analytischen Ebene kaum heraus. Dem Denkapparat gelingt vielleicht noch der Sprung in das bildhafte Erfassen, vielleicht fallen wir auch hin und wieder in die Erkenntnisebene hinein, doch unser Gehirn ist so „geistreich“, dass es dieses Erfassen und Erkennen sofort in das ihm bekannte Weltbild einordnen möchte und so sind wir wieder aus der Erkenntnisebene herausgefallen.

Das bildhafte Erfassen hat oft extreme Auswirkungen:
Eine meiner Schülerin hatte sich in jungen Jahren einer christlichen Sekte angeschlossen. Diese Sekte hatte das Ziel der Christuserkenntnis. Das hieß, nur wem Christus erscheint, ist würdig, diesen Weg zu gehen. Da besagte Schülerin sehr ehrlich war und zugab, dass ihr Christus auch nach größter Anstrengung nicht erschienen war, und zudem Schwäche zeigte, indem sie unter ihrer „Würdelosigkeit“ litt, belegte man sie mit einer teuflischen Besessenheit. Sie verließ nach vielen inneren und äußeren Kämpfen unter traumatisierenden Umständen diese Sekte und benötigte viele Jahre, um sich von diesem Albtraum zu befreien.

Ich habe noch nie erlebt, dass einem Christen Buddha erschien, und ich gehe davon aus, dass keinem Buddhisten oder Moslem Christus jemals erschienen ist oder erscheinen wird. Diesen Punkt sollte jeder Betroffene bedenken.

Ich möchte hier noch eine Möglichkeit anbieten, um wirklich verstanden zu werden:

I. Alltagsdenken
Das Denken im Alltag ist eine autonome Reaktion des Gehirns. Das Gehirn wird von äußeren Umständen angeregt und sucht blitzschnell Lösungen.

II. Logik (lineares Denken)
Mit Hilfe der Logik (sie gehört zum eigenständigen Denken) können wir nun die Puzzles unseres Denkens relativ gut ordnen:
Ein lineares Denken ist möglich und ein Ziel erreichbar.

III. Bildhaftes Denken
Gelingt es uns das bildhafte Denken zu aktivieren (hiermit meine ich nicht die Tagträume), so steht uns ein Vielfaches der Erfassungsmöglichkeit zur Verfügung.
„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“
Das erfasste Ziel findet sich nun genau in der Mitte dieses Bildes.

IV. Erkenntnis
An der Erkenntnis ist sogleich ein Vielfaches des Bildhaften beteiligt und die Logik spielt kaum noch eine Rolle. (Ich möchte es als kubisches Denken bezeichnen).

In der Erkenntnis gibt es kein Ziel. Das „Ergebnis“ wirkt sich blitzartig auf die Gesamtheit des Menschen aus.