Diese Seiten sind etwas provozierend geschrieben. Sie sollen, wie alle Seiten dieser Webseite, nicht belehren, sondern einen Anstoß dazu geben, die eigene Lebenssituation auf mehren Ebenen zu reflektieren.
Als Lehrer steht man im Spannungsfeld von Eltern - Kollegium - Schülern
- Stoff - Methode - Behörde usw.
Jeder Bereich stellt seine Anforderungen und Erwartungen. Hinzu kommen die innerpersönlichen
Problematiken, die aus den fast unlösbaren Fragen erwachsen:
Was will ich?
Was erwarten die anderen von mir?
Was muss ich leisten?
Was kann ich leisten?
Jeder Schultag bringt eine Überschwemmung von Eindrücken, die von
keinem Menschen verarbeitet werden können. Will ein Lehrer heil durch dieses
Labyrinth kommen, muss er sich allen guten und schlechten Seiten seiner Persönlichkeit
stellen. Versteckt er sich hinter seiner Lehrerrolle, was leider sehr häufig
der Fall ist, wird er automatisch immer funktionaler, verschlossener, härter.
Dies überträgt er dann automatisch auch in den Alltag und somit in
seine Familie, sowie Bekannten- und Freundeskreis. Das Schlimme an dieser Übertragung
ist, dass er es selbst nicht merkt.
Diesem Drang, sich in eine Rolle zu flüchten, kann man vorbeugen oder entgehen,
in dem man Techniken entwickelt oder übernimmt, die helfen, auch während
der Schulzeit zu leben, sich danach zu regenerieren und befreiter seine unterrichtsfreie
Zeit zu genießen.
Diese Techniken müssen auf die körperliche und psychische Ebene unserer Persönlichkeit einwirken. Da wir durch jahrelanges Training auf das Denken fixiert sind, leben wir in dem Trugschluss, alles über das Denken regeln zu können und zu müssen. Wenn wir dies als ein Trugschluss erkennen, wird eine Umorientierung möglich. Wir finden somit eine neue Lebenseinstellung. Damit geht eine gesteigerte Lebenskraft und Lebendigkeit einher.
In meiner Arbeit als Supervisor für Lehrer stellten sich vor allem zwei Schwerpunkte heraus:
Was steht im Mittelpunkt der Ausbildung?
Steht die Methode im Mittelpunkt und die Persönlichkeit
muss sich ihr anpassen? Das ist leider als Forderung üblich. Da die Methode
immer nur ein Mittel sein kann, ist diese Forderung der Fachleiter, gerade für
die Referendare mit sozialer Kompetenz, besonders Kraft zehrend. So kommt es,
dass diese Ausbildung von vielen innerlich abgelehnt wird. Sehr oft fallen sie
sogar in eine innere Erstarrung. Es entsteht eine große Distanz zwischen
ihnen und ihrer Ausbildung. So dass schon in dieser Zeit die Lehrerrolle als
Distanzierung eingeübt wird.
Oder steht die Persönlichkeit im Mittelpunkt und Methode
und Didaktik müssen angepasst werden? Das ist in der Schule zwar Realität,
aber in der Ausbildung nicht vorgesehen.
Ich möchte nicht wissen, wie oft die Referendare den Satz gehört haben:
Diese Methode z.B. XXX müssen sie so und so durchführen. Es würde
mich interessieren, ob ein Fachleiter jemals gesagt hat: Von ihrer Persönlichkeit
her müssen sie diese Methode so und so verändern.
Um nicht in dieses Rollenschema eingesperrt zu werden, müssen
wir unsere Persönlichkeitsstrukturen besser kennen lernen.
Dafür hat die Gestalttherapie gute Arbeit geleistet.
Wie sind meine Verhaltensweisen?
Wie gehe ich Probleme an?
Was steht für mich in meinem Leben im
Vordergrund?
Wie gehe ich mit anderen Menschen in Kontakt?
Schon dieses Hinterfragen unserer selbst, verhilft uns zu einer großen
Befreiung: Wir sehen die Situationen und Menschen individueller und verlieren
uns nicht in eine Generalisierung. Generalisierung würde Bewertung bedeuten,
und jede Bewertung zieht eine Festlegung und Erstarrung nach sich.
Außerdem bedeutet Generalisierung, sich stets mit anderen zu vergleichen.
Dies führt zu einer weiteren Entfremdung und gar Zerrissenheit in und mit
uns selbst.
Der Ausweg liegt darin, eine Akzeptanz der eigenen Persönlichkeit zu finden
und sie mit all ihren positiven und negativen Seiten zu akzeptieren. Wir müssen
akzeptieren, dass wir immer die Methoden und unsere Didaktik von unserer Persönlichkeitsstruktur
her bestimmen. Wozu dann das Kraft raubende Vergleichen mit den Kollegen?
Wir Menschen sind anders als wir denken
Wir sind kein Konstrukt des Denkens, sondern eine Ganzheit aus Psyche,
Denken und Körper.
Ich habe mich in den letzten 25 Jahren fasst ausschließlich mit der Erforschung
- über Therapien und Meditation - unseres Menschseins beschäftigt.
Es genügte mir nicht, einfach zu existieren und zu funktionieren, ich wollte
wissen, was mich ausmacht.
Wichtige Aspekte dazu:
Jeder Gedanke ruft Reaktionen in Psyche und Körper hervor.
Jede Muskelregung ruft im Denken und der Psyche Reaktionen
hervor.
Jede psychische Regung ruft Reaktionen im Denken und Körper
hervor.
Dieses Miteinander unserer Persönlichkeitsaspekte ist intensiver, als wir
uns das vorstellen. Durch die Überbetonung von Vernunft und Denken in unserer
Gesellschaft wurde die Bedeutung der Psyche und des Körpers unbemerkt herabgestuft.
Beide dürfen nur noch Hilfsfunktionen für das Denken
sein. Diese haben sie aber nicht. Das ist unser Dilemma.
Hinzu kommt, dass die meisten von uns, sich fast ausschließlich mit ihrem
Denken identifizieren. Das genügt aber zu einem erfüllten Leben nicht.
Wir erwarten dann, dass wir unser Leben über das Denken in den Griff bekommen.
Unser Denken wurde unser Leben. Wir versuchen, unsere Erwartungen an uns und
andere und unsere Wünsche durch das Denken befriedigend erfüllt zu
bekommen. So bekommen unsere Vorstellung ein enormes Übergewicht und wir
erkennen das eigentliche Leben nicht mehr. Wir hoffen, dass die Erfüllung
unserer Erwartungen und Wünsche Glück und Zufriedenheit bedeutet,
doch wie oft geschieht es, dass diese Erfüllung nicht mehr gewürdigt
wird, sondern sofort neue Erwartungen und Wünsche entstehen? Und wie oft
geschieht es, dass uns der Körper dazwischen fährt: Als Lehrer freue
ich mich auf die Ferien - und werde krank, da ich meine Erschöpfung nicht
anerkannt hatte. Ich denke, ähnliche Beispiele kennt jeder in Fülle.
In der Überbewertung des Faktors Vernunft und Denken liegt also unser entscheidender
Irrtum.
Verharren wir in diesem Irrtum, bleibt nur Kontrolle übrig.
Wir müssen unsere Gefühle, Emotionen und Empfindungen, unsere Gesten,
die Mimik und den Körper insgesamt kontrollieren. Wir verlangen damit etwas
Unmögliches. Eine übergreifende Erstarrung und Verdrängung ist
die Folge.
Damit haben wir uns vom eigentlichen Leben verabschiedet.
Dieses Erstarren wird in der Erziehung Disziplin genannt. Auf der Strecke bleiben
Kreativität, innere Weite, innere Freiheit, Zufriedenheit. Kurz: Die eigentliche
Fülle unseres Lebens, die Lebensqualität.
Auf diese Weise verlernen wir schnell, etwas aus uns selbst heraus zu kreieren
und aus Freude am Tun zu handeln.
Was übrig bleibt ist ein ständiges Bewerten von Situationen und uns selbst: Das ist richtig, das ist falsch, das war gut, das war schlecht und alle Differenzierungen davon. Das bedeutet eine ständige Verunsicherung. Wir können uns nie zurücklehnen und im Augenblick verweilen. Das ist gerade bei Lehrern unverhältnismäßig stark.
Wir wurden in diesem oben charakterisierten System geschult und erzogen. Würde
es nicht besser heißen: Verzogen? So beurteilen wir uns und unser Umfeld
stets aus dieser Perspektive heraus. Denken sie an ihre Kindheit, die Schulzeit,
das Studium oder die Referendarzeit. Die meisten Lehrer lernten in ihrem Leben
nichts anderes als Schule kennen. Dies ist entscheidend für den Ausschnitt
unseres Seh- oder Sichtvermögen.
Das Schlimme daran ist, dass wir gelernt haben unser Wohlgefühl, unser
Uns-wohl-fühlen, unsere Zufriedenheit von unseren "Erfolgen"
abhängig zu machen, die dieser Einstellung entsprechen. Somit bedeutet
Erfolg die Benotung und Bewertung durch die anderen. Unser eigener Wertmaßstab
uns selbst gegenüber ging verloren bzw. wir erlernten ihn nie. Hinzu kommt,
dass wir nicht bemerkten, wie wir unser eigenes Fundament zerstörten. So
lernten wir uns ständig zu kontrollieren. Das Resultat ist: Wir sind eingeengter,
enger, verdrängen mehr, grenzen mehr Teile von uns aus als wir glauben.
Das Gegenteil aber wäre ebenso vernichtend:
Ein Zusammenleben ohne Begrenzung bedeutet zwar frei zu sein, aber auch keinen
Kern zu haben. Wir haben keine Identifikationsmöglichkeiten. Was übrig
bleibt ist Chaos. Ideal wäre, wenn der Lehrer sich wieder als Ganzheit
erleben würde und somit fähig wäre, sich flexibel jeder Situation
zu stellen: als ganze Person in seiner inneren Freiheit. Dann könnten die
Kinder an ihm wachsen, indem sie sich an der Lehrerpersönlichkeit reiben
und somit ihre Grenzen finden.
Nicht das "du musst aber" steht dann im Mittelpunkt, sondern Ich bin
und Du bist und zwischen uns geschieht etwas. Was du damit anfängst, bleibt
dir überlassen, aber ich weiche nicht. Du kannst zurückweichen, du
kannst vorbeiziehen, aber du kannst mich nicht umstoßen. Das ist für
mich die eigentliche Autorität. Dem Kind wird es dann überlassen seinen
Weg zu finden und sich an meiner Person über das Modelllernen zu orientieren.
Leben ist Bewegung
Hier schiebe ich einen kleinen Exkurs ein.
Ich möchte erst noch einmal auf die Grundannahme verweisen: Psyche, Denken
und Körper korrespondieren ständig miteinander. Sie prägen und
beeinflussen sich gegenseitig. Das, was alle drei gemeinsam haben, ist die Bewegung.
Bewegung, innerliches bewegt sein, ist unser eigentliches menschliches Lebenskonzept.
Alles ist in Fluss, sagten die alten Griechen. Der Fluss, das Fließen
ist in allen Kulturen ein zentrales Thema. Wenn wir uns ein Baby anschauen,
stellen wir fest, dass es ständig in Bewegung ist. Wir freuen uns, wenn
wir es in seiner Beweglichkeit betrachten und sorgen uns, wenn es matt wirkt,
die Bewegung also nachlässt.
Wir müssen akzeptieren, dass unsere Kinder und wir innerlich
und äußerlich ständig bewegt sind. Wenn alles im Fluss ist,
bedeutet es eigentlich, alles unterliegt einer ständigen Veränderung.
Negativ ausgedrückt: nichts ist beständig.
So ist Unruhe ein Zeichen des Lebendigseins. Das heißt aber nicht, dass
eine große oder überschäumende Unruhe eine größere
Lebendigkeit ist. Dann wäre ja ein Gehetzt-sein das Leben an sich. Ich
meine hier nur den Faktor des Bewegt-seins und des Veränderlichen. Nicht
bewegt sein, keine Veränderung zulassen, würde Tod bedeuten.
Worauf ich hinaus will: Erkenne ich dieses "Leben ist Bewegung" als
Grundlage an, brauche ich nicht rigide zu disziplinieren und empfinde vieles
nicht als Störung, sondern als Möglichkeit, dem Kind und mir zu helfen,
in eine feinere Bewegung zu kommen.
Zusammenfassung:
Um in uns einen Ausgleich zu schaffen, dürfen wir uns nicht vom
Verstand so abhängig machen, denn der hat uns in seiner Sprunghaftigkeit
die Unausgeglichenheit verschafft. Wir müssen unsere Körperempfindung
und unseren emotionalen Zustand genau so hoch bewerten und als Bestandteil unserer
selbst annehmen. Über die Körperempfindung befinden wir uns auf der
Ebene der Akupunkturenergien. Diese haben immer die Tendenz die entstandenen
Disharmonien ausbalancieren zu wollen. So erschaffen sie einen Ruhepol und die
Fähigkeit der Muße in uns, wenn wir lernen es zuzulassen.
Über den Verstand und Willen zu gehen hieße: reflektieren, kontrollieren,
werten: richtig oder falsch.
Über die Empfindung gehen heißt:
Ich achte die Basis meiner Persönlichkeit.
Ich beziehe mich auf meine Basis.
Ich werde mir meiner Grundlagen bewusst (Ich werde selbstbewusst) und beginne
stets von hier heraus neu mein Leben anzugehen. Dies kann stets wie eine neue
Geburt sein.
Das Leben in der Schule
Der Lehrer muss gleichzeitig Vertreter der Behörde sein, Mitglied einer
Gruppe (Kollegium), eine Autoritätsperson, Mitglied einer Kindergruppe
in der Klasse usw.
Er muss Stoffvermittler sein, Didaktiker, Methodiker, Mitmensch, Therapeut,
Vater/Mutterersatz, Freund usw. und möglichst alles gleichzeitig.
Das ist ein Rollenkonglomerat, was nicht zu schaffen ist, ohne sich zu verbiegen
und ohne sich zu neurotisieren, wenn man nicht ganz gezielt an seiner Psychohygiene
arbeitet.
Alles ist auf ihn fokussiert. Für alle Störungen ist er allen gegenüber verantwortlich. Deshalb besteht die Gefahr der Prägung: Er sieht mit der Zeit überall nur die Störung und was nicht "richtig" läuft. Er sieht nicht mehr die Erfolge. Er kann sich somit nicht mehr darüber freuen und findet über diese fehlende Freude keinen Kraftausgleich mehr.
Er ist das letzte Glied einer eigentlich anonymen undurchschaubaren Organisation, der er verpflichtet und verantwortlich ist.
Durch das altersgemäße Verhalten der Kinder seiner Klasse begegnet
er ständig sich selbst als dem Kind aus seiner Vergangenheit.
Hierdurch finden fortlaufend Übertragungen und Projektionen statt. Diese
bestimmen viel stärker die Beziehungen zwischen Lehrer und Kind als viele
wahrhaben wollen. Wir müssen anerkennen, dass wir Subjekte bleiben und
dass wir jede Situation subjektiv betrachten.
Da ich weiß, dass viele Lehrer ein stets schlechtes Gewissen haben, sie würden nicht genug tun und vor allem nicht das Richtige tun, was durch die Diskussion über die neuerliche Pisastudie noch einmal in den Mittelpunkt gerückt wurde, möchte ich noch einmal das Szenario komprimiert aufzeigen:
Wir Lehrer sind so daran gewöhnt, dass wir nicht mehr merken, wie wir
uns auslaugen und unser Kraftpotenzial vergeuden. Das Schlimme ist, dass wir
als Folge des Verbogen-Seins selbst Störungen in unserem Umfeld erzeugen.
Diese Störungen schlagen dann auf uns wieder zurück. Eine Negativspirale
ist in Gang gesetzt.
Letztendlich funktionieren wir nur noch, aber leben nicht mehr. Nicht umsonst
ist die Sterblichkeit der Lehrer kurz nach der Pensionierung höher als
in jedem anderen Beruf.
Das Schlimmste daran ist, dass wir weder von den Behörden, noch von den
Kollegen, denen es genau so geht; noch von den Kindern, die genug mit sich zu
tun haben; noch von den Eltern, die nur ihr eigenes Kind sehen; noch von der
eigenen Familie und den Freunden, die das ewige Schwarzsehen und Gejammere nicht
mehr hören können, Entlastung erwarten dürfen.
Wir müssen uns selbst helfen und Selbsthilfe bedeutet Regeneration.
Die positive Seite des Lehrerdaseins
Ich habe einige Lehrer/Innen nach den positiven Seiten ihres Lehrerdaseins gefragt.
Hier einige Aussagen, die für sich sprechen:
Weil die Kinder offen und direkt ihre Gefühle ausdrücken.
Weil ich bei ihnen einen direkten Kontakt erfahre.
Weil sie es mir erleichtern, meine Gefühle auszudrücken.
Weil sie mich immer in die Gegenwart zurückholen.
Weil ich die Grenzen meiner Macht spüre.
Weil ich ihre Entwicklung mitbekomme.
Weil ich mich immer wieder mit meiner Neurose auseinander setzen darf.
Ich liebe die Offenheit, Spontaneität und Begeisterungsfähigkeit
der Kinder.
Ich schätze die freie Zeiteinteilung (trotz vieler Arbeit) und Rhythmisierung
der Arbeitsprozesse.
Ich glaube, mir wichtig erscheinende emotionale und sachliche Strukturen den
Kindern nahe zu bringen und auf den Weg mitgeben zu können (Sinnfrage).
Es besteht ein Raum für Kreativität, Intuition und Kontakt.
Weil Lisa so nett lächeln kann.
Wenn ein Schüler stolz auf seine Leistung ist.
Weil meine Schüler keine Hausaufgaben machen müssen.
Weil ich die Kinder (meistens) gern habe.
Weil ich es spannend finde, Kinder und Jugendliche eine Zeit lang zu begleiten
und an ihrer Entwicklung teilzuhaben.
Weil es mir Spaß macht, etwas mitzugestalten, meine Erfahrungen, Ideen
und Kenntnisse einzubringen.
Weil ich gerne "Kinderquatsch mache: malen, singen, matschen, quatschen."
Weil ich den Kindern gern etwas Wertvolles mit auf den Weg geben möchte.
Weil ich ihnen gerne viele Welten zeigen würde.
Eine Zusammenfassung dieser Aussagen als Schlagwort ausgedrückt
Wir Lehrer begegnen ständig über die Kinder den fundamentalen Lebensprinzipien:
Lernen als Grundlage der Evolution
Begegnung mit dem Kind in sich
Eine Wachheit auf allen Ebenen des Menschseins
Lernen auf allen Ebenen ist die Grundlage der Entwicklung und somit die Grundlage
der Evolution. Das ist uns eingeboren. Wer Lehrer wird, ist wahrscheinlich näher
an dieser Grundlage als Menschen in anderen Berufen. Das müssen wir uns
immer wieder klar machen. Das Lehrerdasein ermöglicht es uns auch mit dem
Kind in uns in Kontakt zu bleiben. Aus der gestalttherapeutischen Sicht ist
das die unabdingbare Voraussetzung zum inneren Wachstum, zur inneren Reife.
Das Lehrerdasein ermöglicht es uns eine Wachheit auf allen Ebenen des Menschseins
aufrecht zu erhalten oder wieder zu finden.
Die Situation des Lehrers aus der negativen Sicht
Verantwortungsbewusstsein
Sein oft übersteigertes Verantwortungsbewusstsein verführt ihn dazu,
sich ständig zu überfordern und schließlich zu resignieren.
Er wird nicht in Ruhe gelassen
Hinzu kommt, dass alle seine Freunde, Bekannten, Verwandten und Nachbarn ihre
eigenen negativen Schulerfahrungen haben, die sie noch nicht verarbeitet haben
und unbemerkt auf ihn übertragen. Solche negative Erfahrungen haften bei
uns Menschen stärker als die positive Erfahrungen und sie verführen
uns dazu, sie auf andere zu projizieren. Dadurch wird der Lehrer auch außerhalb
der Schule nicht in Ruhe gelassen.
Wir merken nicht mehr, dass wir aus mangelnder Anerkennung verzweifeln und werden zu einem Don Quichotte: stets kämpfend, isoliert und unverstanden.
Wir müssen uns selbst helfen und Selbsthilfe bedeutet Regeneration.
Zu dieser Regeneration können die unten vermerkten Übungen beitragen.
Dazu wäre es notwendig ständig unsere Einstellungen zu revidieren
und in Frage zu stellen. Hierfür eigenen sich vor allem Supervisionsgruppen,
die den Lehrer und nicht die Kinder und die Methoden im Blick haben.
Übungen zum Bewältigen von Stressreaktionen
Die folgenden Übungen sollen uns helfen, die Reaktionen, die der Stress
in Körper, Psyche und Geist hinterlässt, abzubauen.
Stress entsteht durch die Angst, das gesteckte Ziel nicht zu erreichen. Der
Stress ist in unserem genetischen Bereich als Hilfe von der Natur eingepflanzt
worden, um uns wach zu machen für Angriff oder Flucht. Dies wäre in
unserer gesellschaftlichen Geborgenheit und dem krisensicheren Beamtentum nicht
mehr nötig, doch unsere Vorstellungskraft spielt uns hier einen bösen
Streich. Durch sie werden im Körper ständig diese Stresszustände
erzeugt, denn der Körper kann nicht zwischen Realität und Vorstellung
unterscheide. So entstehen mit der Zeit neurotische Ängste, d.h. diese
Ängste sind genetisch nicht vorgesehen und ihre Wirkungen in den oben genannten
drei Bereichen werden nicht so schnell abgebaut. Daraus erwächst die Gefahr,
dass wir von diesen Ängsten besetzt werden und sie nicht wieder verlieren.
Wir "gewöhnen" uns sozusagen an die Ängste. Angst wird zur
Gewohnheit. Mit dem Kampf gegen diese Ängste verstärken wir sie nur
noch und geraten in einen Dauerstress. Wir müssen andere Wege gehen.
Wir haben einen Bereich in uns, der fähig ist, mit der Angst umzugehen. Er gehört zum eigentlichen menschlichen Bereich. Es gilt ihn zu stärken und sich mehr und mehr mit ihm zu identifizieren. (Siehe den Artikel „Beobachter und Kommentator“)
So kann die Akzeptanz der Angst und der Umgang mit der Angst entscheidend zum
persönlichen inneren Wachstum beitragen. Darum möchte ich die Losung
ausgeben:
Danke für diese Angst, denn sie hilft mir, eine stärkere Persönlichkeit
zu werden.
Die Verdrängung der Angst erzeugt das Gegenteil: Ich baue damit ein Pseudo-Ich
auf.
Übungen
Es geht in den Übungen immer um zweierlei:
Die Reaktionen der Angst zu verstärken oder ihnen einen Ausdruck zu verschaffen.
1. Vom Körper her:
Bewegung und Emotionen gehören zusammen.
Je nach Bedürfnis grobe bis feinste Bewegungen
der Gestik
der Mimik
des ganzen Körpers.
Die Muskulatur in Teilen oder insgesamt anspannen: heftig bis fein, dann loslassen.
Immer wieder!
Die Muskulatur des Mundes und des Afters anspannen, loslassen usw.
Den ganzen Körper abklopfen oder abklopfen lassen
Recken und strecken, auch wenn einem nicht danach ist
2. Mit der Kehle:
Töne laut oder leise summen.
Vokale oder Konsonanten explosionsartig bis ganz subtil ausstoßen oder
singen.
Stöhnen, als wäre man verwundet und leide unter starken Schmerzen
3. Atmung:
Die Atmung ist der beste Indikator für die Ängste!
Die Atmung beachten und nur registrieren!
Mit hechelnder Atmung das Zwerchfell tanzen lassen.
Sich von der Atmung imaginativ füllen und leeren lassen.
Die Ausatmung betonen.
Die Atempausen nach Ein- oder Ausatmung betonen.
Auf ffff oder sssss ausatmen.
Unverschämt gähnen.
Tief einatmen, lange anhalten, dann explosionsartig ausatmen.
4. Schreiben und malen
Ging es bei den Körperübungen darum, Körper und Psyche
wieder zum gemeinsamen "Arbeiten" zu bringen, so geht es hier darum
Geist und Psyche zusammen zu bringen.
Sich beidhändig auf DIN A 2 Blättern ausdrücken. Die Augen sind
dabei geschlossen.
Vorstellungsbilder aufmalen. Dabei übertreiben.
Ohne Punkt und Komma alles von der Seele schreiben. Dabei nicht auf die Form
achten. Das soll keine Rechtschreib- oder Grammatikübung sein. Hundert
Mal ein ordinäres Schimpfwort schreiben. Die Form wird sich ändern.
Ganz gewiss.
Gefühle und Empfindungen detailliert beschreiben.
Übungen zur Stärkung der Persönlichkeit
Übung I
Gesicht reiben, die Handballen auf die Augen legen. Von den Handballen
zu den Augen und von den Augen zu den Handballen spüren. Beide verschmelzen
lassen.
Wahrnehmen: Ich sitze jetzt im Stuhl. Ich liege auf dem Sofa. Ich gehe auf diesem
Weg. Ich stehe vor der Ampel. usw. ( Versuchen, so lange wie möglich bei
diesen Wahrnehmungen zu bleiben.)
Übung II
Ein Dreieck bilden: Sitzhöcker und Steißbein bilden ein
Dreieck. Aus diesem Dreieck wachsen Wurzeln tief in die Erde hinein. Den Ausatem
betonen und durch diese Wurzeln ein- und ausatmen.
Mit dem Empfindungsbewusstsein innerlich folgen.
(Siehe auch die Artikel über das Erden)
Übung III
Mit der Hand vom Ellenbogen über den kleinen Finger immer wieder
ausstreichen und auf fffffff ausatmen.
Die Zehen behutsam bewegen und diese Bewegung immer zeitlupenhafter werden lassen.
Aufmerksam nachspüren, was im Inneren des Körpers geschieht.
Dann summen und die Schwingung des Summens der Kehle durch den Körper nach
unten gleiten lassen. Während dessen die Augen geschlossen halten und der
inneren Schwingung ganz wach folgen.
Die Hände und Finger in Zeitlupe strecken und wieder in die Ausgangsposition
zurückgleiten lassen.
Nachspüren!
Übung IV
Auch hier beginnen wie unter II.:
Sitzhöcker und Steißbein bilden ein Dreieck. Aus dem Dreieck wachsen
Wurzeln tief in die Erde hinein.
Den Ausatem betonen und durch die Wurzeln ein- und ausatmen. Mit dem Empfindungsbewusstsein
innerlich folgen.
Dann weiter gehen:
Mit einem Teil des Bewusstseins bei diesem Teil der Übung bleiben und von
hierher:
Muskeln anspannen/loslassen.
Verlängerung der Atmung.
Sich im Ausatem imaginär ausdehnen.
Sich im Einatem imaginär innerlich sammeln.
Sich in der Muskulatur entspannen lassen.
Übung V
Grundübung von Tai chi
Übungen II und IV können wir überall machen. Sie sind tiefgreifend
und führen uns zu unserer Basis zurück. Sie sind vor allem für
langweilige Konferenzen sehr geeignet!!!
Die Übungsreihe III kann man sehr gut auf der Fahrt zur Schule und auf
dem Heimweg machen. Sie reinigt uns von vielen Stressfaktoren.
Beispiele, wie wir reagieren:
Hier sollen einige Mechanismen unserer Persönlichkeit vorgestellt werden,
die unser Dasein stärker bestimmen, als wir uns eingestehen wollen. Es
lohnt sich darüber nachzudenken.
Vordergrund - Hintergrund aus der Sicht der Gestalttherapie
Beispiel:
Da fährt ein Autofahrer an einer Polizeistreife vorbei. Er wird
geblitzt, weiß aber genau, dass er nicht zu schnell gefahren ist. Um die
Polizisten zu ärgern, fährt er noch zwei Mal an ihnen vorbei und wird
jedes Mal geblitzt. Dann wird er angehalten und bekommt eine saftige Bestrafung.
Was ist geschehen? Für ihn stand die Geschwindigkeit im Vordergrund. Alles
andere blieb im Hintergrund. Er war so stark darauf fixiert, dass er nichts
anderes beachtete.
Für die Polizisten stand im Vordergrund, dass er keinen Gurt anhatte und
dafür erhielt er dann die Bestrafung.
Auf die Schule übertragen bedeutet das: Wir müssen viel stärker
einkalkulieren, dass in jeder Situation für jeden Menschen etwas anderes
im Vordergrund steht. Für jedes einzelne Kind in jeder Stunde etwas anderes
als für den Lehrer. Hier liegt das Hauptkriterium für die Schwierigkeiten
des Lehrerberufes. Würden die Lehrer dies mehr akzeptieren, fühlte
sich das Kind erkannt und würde sich flexibler auf unsere Bemühung
einlassen können. Es bliebe lebendig und kreativ und wir würden weniger
Ärger in uns erzeugen.
(Mit den Wochenplänen versuchen schon viele Lehrer diesem Phänomen
Rechnung zu tragen.)
Mechanismen und Identifikation
Beispiel:
Da ist ein Paar, das sich liebt und erst seit kurzem verheiratet ist. Plötzlich
haben beide starke Probleme, die von außen an jeden der beiden herangetragen
werden. Daraus entwickelt sich eine ganz starke Paarproblematik.
Warum?
Die Paarproblematik hätte sich nicht entwickelt, wenn nur einer von ihnen
ein Problem bekommen hätte, dann hätte der andere stützend eingreifen
können. Da nun beide gleichzeitig ihre Probleme angehen müssen, kommt
die Beziehung in Gefahr:
Die beiden sind sehr unterschiedlich.
Er verarbeitet seine Problematiken im Innern und kapselt sich dann von seiner
Umgebung ab.
Sie verarbeitet ihre Problematiken, in dem sie ihre Freundinnen anruft und stundenlange
Gespräche führt.
Nun kann keiner unterstützend für den anderen eintreten.
Jeder ist auf Grund seiner speziellen Mechanismen ein Feind des anderen geworden.
Das, was sie bisher verbunden hat, ihre Unterschiedlichkeit, trennt sie nun
extrem. Sie will mit ihm über ihre Probleme reden - intensiv. Er ist in
seiner Situation nicht fähig dazu. Er braucht seine Abgrenzung als Schutzwall
und fühlt sich von ihr bedroht. Sie fühlt sich völlig allein
gelassen.
Auf die Schule übertragen bedeutet das: Ich muss erkennen und anerkennen, dass meine Vorgehensweisen Prägungen aus meiner Kindheit sind und dass auch jedes Kind eine andere Prägung hat. Erkenne ich dies an, fühle ich mich von den Kindern nicht mehr in meinem Sosein bedroht. Sie sind nicht mehr meine Feinde.
Leben ist Bewegung - Lernen in Bewegung
Beispiel: Lara und das Zählen
Als Lara meine Tochter noch nicht drei Jahre alt war, sprang sie auf einem Trampolin
herum und zählte ständig von 1 - 11, jeweils ohne Fehler. Ich war
so überrascht, dass ich es meiner Frau erzählte. Als sie Lara aufforderte
zu zählen, zählte sie 5-6-7-4, dann war Ende. Sie konnte nicht mehr
weiter. Als ich sie aufforderte, durch den Raum zu tanzen, zählte sie wieder
fehlerfrei von 1 - 11.
Es ist so schade, dass viele Lehrer diese Selbstverständlichkeit und Bedeutung
der Bewegung stets außer Acht lassen. In meiner Kindheit wurde oft in
chaotischen Situationen gesagt: Hier geht es zu wie in der Judenschule. Liegt
darin der Ursprung der geniale Kreativität des jüdischen Volkes verborgen?
Kontrolle und disziplinieren ist alles
Da ist ein kleiner Junge, der jetzt in die Schule gekommen ist. Er
ist ohne Druck aufgewachsen. Zum Glück war er in einem Kindergarten, in
dem er sich frei entfalten konnte. Leistungsanforderungen wurden nicht an ihn
gestellt. Da er an vielem sehr interessiert ist, wurde er unterstützt,
wenn er Fragen stellte. So interessiert er sich schon eineinhalb Jahre vor Schulbeginn
für mathematische Aufgaben. Z. B. wie viel ist 3 mal 4. Es wurde erklärt
und auf vielen Autofahrten rechnete er so lange er wollte. Er war recht fix
darin, denn er erfasste das Zahlensystem intuitiv.
Nun bekam er eine nette, engagierte Lehrerin, die viel Verständnis hat
und sehr eifrig ist. Auf der anderen Seite ist sie sehr rigide. Das Ergbnis
war, dass der kleine Junge in der Schule sehr unruhig wurde, die Klasse störte,
und nach einem halben Jahr Schule nicht mehr 3 mal 4 rechnen konnte. Er benutzt
neuerdings die Finger beim Rechnen, was er vorher nie tat. Er hatte z. B. nie
geweint, es sei denn, er hatte sich wehgetan. Nun weint er mindestens zwei Mal
die Woche fürchterlich und herzzerreißend wegen Kleinigkeiten. Zum
Glück für ihn, erkennen die Eltern sein Dilemma und können ihn
dann trösten und auffangen. Doch wie viele Eltern setzen dann den Druck
der Lehrerin auch zu Hause noch fort, da sie den Anlass des Weinens nicht nachvollziehen
können? In diesen Fällen würde sich die Lehrerin ihr verhaltensauffälliges
Kind heranziehen, unter dem sie selbst leiden müsste.
Aus meiner mehr als 20 jährigen Erfahrung als Supervisor für Lehrer
weiß ich, dass das öfter geschieht als wir denken. Die Lehrerin denkt
von ihrer Methode her und nicht vom Kind her.
Seit einer Woche ist die Lehrerin krank. Die neue Lehrerin scheint ganz anders
zu sein. Schon am ersten Tag, kam der Junge wesentlich entspannter aus der Schule
und bot seiner Mutter seine Hilfe beim Tragen der eingekauften Sachen an. Seine
soziale Komponente war frei geworden. Andere Eltern der gleichen Klasse berichten
von ihren Kindern das Gleiche. Die Klassenlehrerin, die sehr verantwortungsbewusst
ist und die Kinder mag, erzeugt bei sich und den Kindern einen enormen Stress
und leidet wiederum unter diesem Stress. Sie "scheitert" an ihren
eigenen Ansprüchen. Das Schlimme daran ist, sie merkt es selbst nicht.
Hierzu noch folgendes Beispiel:
Eine lebendige, sehr engagierte Referendarin arbeitet zur Freude ihrer Mentorin
so gut in der Klasse, dass die Schule alles unternimmt, um diese Referendarin
als examinierte Lehrerin an ihre Schule zu bekommen. Das gelingt auch. Diese
Referendarin bekommt als Klassenlehrerin die Klasse in der sie Referendarin
war. Sie ist kaum 14 Tage Lehrerin, da bricht sie mit einem Nervenzusammenbruch
zusammen. Wochenlang ist sie danach nicht arbeitsfähig.
Was ist geschehen? Sie kam mit der Verantwortung nicht zurecht. Als Referendarin
konnte sie frei agieren, hatte aber keine Verantwortung für das Gesamtbild
der Klasse. Die einzige Veränderung, die nun kam, war die Verantwortung.
So ist sie nicht an den Kindern gescheitert, sondern an ihrer Einstellung zu
ihrem eigenen Verantwortungsbewusstsein, dem mangelnden Vertrauen in die Selbstregulierung
von Gruppen und einzelnen Persönlichkeiten.