Durch den Geist der Aufklärung und das ins Alltagsbewusstsein eingedrungene analytische Denken ist das Verhältnis Lehrer-Schüler wesentlich differenzierter und komplizierter geworden.
Ich denke mir, dass der Schüler des Altertums oder der östliche Schüler nur den transpersonalen Aspekt im Lehrer suchte und diesen Aspekt dann Meister nannte. Die persönliche Seite des Lehrers konnte dann in kauf genommen werden oder wurde auf die transpersonale Seite umgedeutet. Genau so reagierte dann der Lehrer. Er nahm die Persönlichkeitsaspekte seines Schülers in kauf und lenkte alles auf die transpersonale Ebene. Nur diese zählte. Das beinhaltete aber, dass das Leben nicht im Alltag stattfinden konnte. Deshalb gründete man Klöster oder zog sich gemeinsam in die Einsamkeit zurück.
Diese Ignoranz der persönlichen Ebene ist weder beim Lehrer noch beim Schüler des Westens möglich. Es sei denn, beide gehen in ein Kloster oder gründen ein Kloster. Leben sie weiter mitten im Alltag, so muss eine Schulung der Persönlichkeitsebene erfolgen. Die meisten Seiten dieser Webseite zielen auf diese Thematik und sind nur so zu verstehen.
Ich möchte hier einen Versuch starten, die Kompliziertheit, die durch den Alltag entsteht, aufzuschlüsseln:
A | Mensch mit mehr Erfahrung |
— | Mensch mit weniger Erfahrung |
B | Vater / Mutter | — | Regressiver Mensch |
C | Wissend im Sinne der Transzendenz |
— | Schüler der Meditation |
Bezogen auf das Wissen (C) drängt es den Schüler zu absolutem Vertrauen.
Das ist ein in jedem Menschen eingefleischter Wunsch. Gleichzeitig wünscht
er sich aber den idealen Vater (Mutter), der die Alltagssorgen "weg macht"
und daneben den lebenserfahrenen Führer, der ihm bei den Alltagssorgen
hilft.
Diese drei Aspekte können innerhalb eines Gespräches auftreten. Der
eine oder andere Aspekt kann über längere Etappen im Vordergrund vorherrschen,
wobei die anderen beiden ständig im Hintergrund mitschwingen.
Das erfordert vom Lehrer absolute Gradlinigkeit. Er muss heute einen entscheidenden
Teil seiner ehemals vorhandenen Verantwortung an den Schüler zurückgeben.
Der Lehrer der Neuzeit braucht mehr als früher den mündigen Schüler.
Unter mündigem Schüler verstehe ich hier den Schüler, der fähig
ist, die drei Ebenen seines Lebens (ABC) zu sehen, zu trennen und sie trotzdem
zu leben. Das ist sehr, sehr schwer. Das heißt letztendlich, das Vertrauen
des analytisch denkenden und "aufgeklärten" Schülers muss
durch seine Eigenverantwortung wesentlich größer sein als das der
oben erwähnten anderen Schüler, denn die totale Hingabe an den Lehrer
als Basis fehlt hier.
Gerade weil dies so schwer ist, erfordert dies wiederum vom Lehrer das, was
ich Gradlinigkeit nannte. Er darf sich auf keinen Fall in die oft vorhandene
Verwirrung des Schüler hineinziehen lassen. Er muss fähig sein, die
"Ungerechtigkeit" des Schülers anzunehmen und seine menschliche
Bindung aufzugeben, wenn er sieht, dass der Schüler wieder einmal die Ebenen
verwechselt hat und seine Antworten oder seine Hinweise anders ankommen als
sie gegeben wurden.
Um dies deutlicher zu machen, möchte ich dies hier einmal theoretisch andeuten. Allerdings ist jede Situation um ein Vielfaches komplizierter:
1. Beispiel:
Fragt der Schüler aus der Position B, glaubt aber selbst aus der
Position C zu fragen und antwortet der Lehrer aus der Position A glaubt aber
aus der Position C zu antworten ist die Verwirrung komplett.
Vom Lehrer zumindest verlange ich, dass er sich seiner Position bewusst ist.
Hier muss er konsequent seine Position in jeder Situation erkennen und vor sich
vertreten. Dem Schüler oder seiner Beziehung zum Schüler wegen darf
er seine Position nicht aufgeben.
2. Beispiel:
Häufig kommt es vor, das die Schüler aus der Position B Fragen
stellen, als wären sie in der Position A und wollen Antworten aus der Position
C . Dem Lehrer steht es nun frei, aus welcher Position er antwortet. Doch jede
Antwort wird auf Unverständnis stoßen. Hier ist die therapeutische
Sitzung angebracht, in der der Lehrer dem Schüler hilft, seine eigene Antwort
zu finden.
3. Beispiel:
Am leichtesten ist es, wenn der Schüler aus der Position C fragt
und der Lehrer Antwortet aus der Position C. Denn dann holt sich der Schüler
seine Antwort aus dem Lehrer heraus, die eigentlich schon in ihm selbst vorhanden
ist, an die er aber selbst noch nicht heran kommt. Er benutzt den Lehrer im
positiven Sinne, um seine eigenen störenden Persönlichkeitsstrukturen
zu umgehen. Beide sind höchst zufrieden, denn in dieser Ebene liegt die
Zufriedenheit und Ausgewogenheit. Hier beginnt das Glücklich sein.
Es hat sich für mich herausgestellt, dass die Position A , die persönliche Erfahrung, der Schlüssel zum modernen meditierenden Menschen ist. Das ist der eigentliche Schüler der Zukunft. Alle Schüler, die nur die Position C - die Transzendenz - "ansteuern", müssen letztendlich "scheitern", da ihnen der in unserer Gesellschaft so entscheidende Eigenwille als Bollwerk im Wege steht. Sie merken nicht, dass sie nicht in C aufgehen, sondern in B aufgehen. Dieses Phänomen oder dieser Irrtum ist der Nährboden für alle Sekten.
Schwierigkeiten werden als Schwierigkeiten gesehen und nicht mehr als Wandlungsprozesse.
Das psychoanalytische Denken ist großen Kreisen unserer Gesellschaft
Allgemeingut geworden. Da das Denken unser Weltbild steuert, haben diese Menschen
ein anderes Weltbild, als die Menschen vor 50 Jahren. Da das Weltbild jede Handlung
steuert und jeder Mensch sein Weltbild als Wahrheit anerkennen muss, wenn er
sich ernst nimmt, kommt für diesen neuen Menschen eine entscheidende neue
Hürde in sein Lehrer-Schüler-Verhältnis.
Kein Erwachsener möchte natürlich regressiv sein. Da aber in der frühen
Kindheit immer etwas schief läuft, bleibt es nicht aus, dass bei jedem
Menschen ein Nachholbedarf besteht. Automatisch verfällt der Mensch, der
sich einer persönlichen Führung anvertraut, in regressive Phasen.
Das ist für sein Wachstum unabdingbar und eine Grundvoraussetzung für
eine Nachreifung oder Gesundung. Hier kommt es darauf an, ob der Lehrer das
benutzt, dann entsteht eine Sekte, oder als gegeben hinnimmt und trotzdem immer
den erwachsenen Menschen anspricht.
Verharrt der Schüler in seinem psychoanalytisch geprägten Weltbild, entstehen fasst unüberwindliche Schwierigkeiten. Der Lehrer wird als Vater/Mutter benutzt aber nicht als Lehrer erkannt.
Beispiel 1:
Der Schüler verkündet stolz, dass er die ihm gegebenen Übungen
nicht oder nur unvollständig macht. Das ist aus seiner regressiven Situation
heraus verständlich, ist es aber als Meditationsschüler sinnvoll?
Beispiel 2:
Der Lehrer wird auf seiner persönlichen Ebene überhöht
oder erniedrigt, bewertet, beurteilt, verurteilt, festgelegt usw. . .
Das ist die Phase, in der der aus der Regression auftauchende Schüler sich
selbst nicht wichtig genug nimmt, sondern den Lehrer, ohne es zu merken, eine
zu große Bedeutung gibt.
Beispiel 3:
Hat nun der Schüler diese beiden Phasen erfolgreich überstanden
und ist trotzdem bei dem ursprünglichen Lehrer geblieben, kommt ein dritter
wichtiger Schritt:
Erkennt er die persönlichen Schwierigkeiten als Herausforderung und nutzt
sie für sein persönliches Wachstum?
Erkennt er die enormen Schwierigkeiten, die durch seinen Wandlungsprozess entstehen
als gegeben an, oder versteckt er sich hinter sein psychoanalytisches Weltbild
und projiziert dadurch alles auf die Umwelt, also auch auf den Lehrer. Dies
ist eine entscheidende Phase in der Meditation, in der viele Menschen den Weg
abbrechen.
Dann hilft es auch nicht, wenn sie den Lehrer wechseln, denn nun beginnt der
Weg wieder von vorn. Die Schüler erkennen nicht, dass sie auf der persönlichen
Ebene verharren. Der Lehrer ist an diesem Punkt absolut machtlos.
Hier beginnt für mich die Phase des echten Vertrauens. Der Schüler stellt sich der Herausforderung durch den Lehrer und fordert die transzendente Komponente heraus, dann treten die persönlichen Schwierigkeiten automatisch in den Hintergrund und bekommen ihre zweitrangige Position, ohne dass irgendetwas getan werden muss.