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Existentielle Angst und Konsum

Während meiner meditativen und therapeutischen Kontakte mit vielen Menschen in den letzten 30 Jahren fiel mir Folgendes auf:

Die in und um die Kriegszeit herum Geborenen sowie deren Kinder und auch Enkel haben in ihrer Lebenseinstellung völlig verschiedene Weisen, ihr Leben zu betrachten und anzugehen. Diese Unterschiede muss jeder bedenken, der mit diesen verschiedenen Altersstufen arbeitet. Doch auch die Menschen dieser verschiedenen Generationen sollten sich klar machen, dass sie von den jeweils anderen beiden Altersstufen nicht verstanden werden können. Gelingt es ihnen, diese Sichtweise und Einstellung anzunehmen, könnten die meisten Missverständnisse und Leiden im Miteinander dieser drei Generationen vermieden werden.

Damit ich richtig verstanden werde, möchte ich ein Beispiel bringen:
Da sind ein Flugzeug, ein Schiff und ein Auto. Alle drei bestehen aus dem gleichen Material und haben Motoren, um sich fortbewegen zu können. Sie sind Beförderungsmittel. Eigentlich gibt es keinen Unterschied zwischen ihnen: Nur die Elemente für die sie gemacht wurden, unterscheiden sich deutlich voneinander.

Den Leser dieses Artikels bitte ich zu bedenken, dass ich auch hier nur Anregungen dazu geben möchte, selbst in die Beobachtung dieses Phänomens einzutreten.

Voraussetzung meiner Gedanken

a) Jeder Mensch möchte und muss sogar als Kind so gesehen und akzeptiert werden, wie er ist. Geschieht das nicht, bleiben tiefe Wunden zurück. Aus ihnen entwickeln sich dann die üblichen Neurosen.

Beispiel: Meine Tochter war gerade ein halbes Jahr und mein Sohn vier Jahre alt. Da schaute mich meine Tochter mit einem Blick an, der mir spontan klar machte: Jetzt brauche ich mir um meinen verträumten Sohn keine Sorgen mehr zu machen, sie wird auf ihn aufpassen. So entwickelte es sich auch. Sie ist jetzt sechs und er zehn Jahre alt. Doch sie ist ihm in praktischer Hinsicht völlig überlegen und mischt sich in jede seiner Angelegenheiten ein. Hätte ich sie damals in diesem Teil ihres Wesens nicht erkannt, würde mir diese Seite an ihr völlig auf die Nerven gehen. Entsprechend wäre dann auch unsere Beziehung.

b) Als Zweites braucht es Körperkontakt und die leibliche Versorgung mit Kleidung, Essen und Wohnen muss sichergestellt sein.

1. Die Kriegsgeneration

Hierzu zähle ich die Menschen, die etwa zwischen 1930 und 1950 geboren wurden.

Neben den eigenen traumatischen Erlebnissen in den Jahren des 2. Weltkrieges und der nachfolgenden Hungersnot, war diese Generation Eltern durch ihre eigenen Eltern geprägt, die den 1. Weltkrieg und seine Hungersnöte, die Wirtschaftskrise und die Hetze des Hitlerregimes erlebt hatten.

Die dominanten Emotionen bei ihnen waren demnach Existenzangst und Todesangst. Um ein Überleben überhaupt möglich zu machen, mussten sie diese Grundemotionen sofort verdrängen und sich somit von dieser vitalen Ebene in sich abschneiden. Als Folge trat die Sorge um die Existenz – auch als Kompensation – in den Vordergrund. Die Absicherung der Existenz und das Prestigedenken dominierten (Hausbau und Spargroschen, größeres Haus und größeres Auto als die Nachbarn). Aus dieser Perspektive heraus ist die Aufbauphase der Republik, das so genannte Wirtschaftswunder, verständlich. Auf der Strecke blieben jedoch fast alle sensibleren Bereiche des Menschen. Dazu gehört für mich die Kontaktfähigkeit. Dieser Bereich hatte keine Möglichkeit, sich zu entfalten.

2. Die Kinder der Kriegsgeneration

Die Kinder dieser Kriegsgeneration bekamen noch einen Teil der Existenzangst vermittelt, ohne sie als echte äußere Bedrohung zu erleben. (Die äußere Bedrohung hätte in ihnen Vitalkräfte frei gesetzt, wie es bei den Eltern geschah.) Da die Existenzangst nicht dominierte, blieb bei ihnen das menschliche Grundbedürfnis nach Kontakt frei zugängig. Da sie aber Eltern erlebten, die zu diesem echten Kontakt nicht fähig waren, blieben sie in ihrem menschlichen Grundbedürfnis unbefriedigt und wurden in ihrer Tiefe sehr verunsichert.

Der Leistungsanspruch der Eltern (resultierend aus der Todesangst) stand bei ihnen von der Erziehung her im Vordergrund, die Sehnsucht nach erfüllendem Kontakt aber ebenso. In diesem Zwiespalt leben sie noch heute.

Aus diesem Zwiespalt entstand die Studentenrevolte der so genannten „68er- Generation“. Die Existenzangst wurde durch die rundum abdeckende Versorgungsmentalität des Staates mehr und mehr verdeckt. Der Staat wandelte sich in ihren Augen zur übermächtig versorgenden Vater/Mutter und wird noch heute auf solche Weise in die Verantwortung genommen. Die Eigenverantwortlichkeit wird nicht gesehen.

3. Die Enkel der Kriegsgeneration

Bei den Enkeln der Kriegsgeneration ist die Existenzangst völlig in den Hintergrund getreten. Das Bedürfnis nach Kontakt trat in den Vordergrund und dominiert nun. Da ihre Eltern aber noch in dem Zwiespalt von Existenzangst im Hintergrund und Kontaktbedürfnis im Vordergrund groß geworden sind und da ihr Kontaktbedürfnis von Seiten ihrer Eltern nicht gestillt wurde, verschob sich die Bedürftigkeit ihrer Kinder – also der Enkel der Kriegsgeneration - hin zum Konsum. Denn das Grundbedürfnis nach erfüllendem Kontakt wurde von Versorgung in Verwöhnung pervertiert: „Meinem Kind soll es besser gehen als mir.“ In dieser Falle befinden sich jetzt die Enkel, denn die Möglichkeiten der Rundumversorgung des übermächtigen „Vaters“ Staat sind durch die Fehlplanungen der Kriegsgeneration und ihrer Kinder am Ende. Nun werden die maßlos verwöhnten Enkel der Kriegsgeneration wieder von der Existenzangst der Großeltern ohne Vorwarnung eingeholt. Doch die äußere Bedrohung, die die Kräfte der Existenzangst mobilisieren könnte, fehlt auch bei ihnen und so werden sich in ihnen in absehbarer Zeit schlimme neurotische Ängste entwickeln, mit Depressionen und/oder Erstarrung.

Konkrete Beispiele der verschiedenen Sichtweisen

„Wir haben doch alles für dich getan…“ Da die Kriegsgeneration krampfhaft die Existenzängste verdrängen musste, hat sie vor jeder persönlichen Auseinandersetzung Angst, denn durch die Akzeptanz der persönlichen Auseinandersetzung könnte der Zugang zu diesen verdrängten Ängsten freigelegt werden. So bleiben Erstarrung und Rechthaberei übrig.
Gipfel dieser Rechthaberei ist dann der Satz: „Meine Kinder sind undankbar.“ Das weckt Schuldgefühle in den Kindern. Sie wollen nicht undankbar sein, können sich aber nicht verständlich machen und fühlen sich ebenfalls unverstanden. Sie sollten bedenken, dass sie gar nicht verstanden werden können. Damit müssen sie zurechtzukommen (vgl.: Auto, Schiff, Flugzeug). Gelingt ihnen das nicht, geraten sie in die Verzweiflung des “Meine Eltern hörten mir nicht zu.“ oder „Meine Eltern verstanden mich nicht.“ oder „Mit meinen Eltern konnte man nicht reden.“

Das alles stimmt ja auch (siehe auch den Artikel: „Die idealen Eltern“). Die einzige Möglichkeit, die ihnen zur Erfüllung dieses menschlichen Grundbedürfnisses nach „Gesehenwerden“ bleibt, ist, sich selbst zu erkennen.

Zu den Enkeln: Für mich ist der Ausdruck „Kuschelpädagogik“ und der Satz: „Wann fahren wir wieder zu McDonald´s?“ sowie: „Aber die Kati hat schon ihr xtes Handy!“, bezeichnend für diese Generation. Ich fürchte, dass die eben angesprochene zweite Generation (Eltern und der Schulbetrieb) nicht erkennt, dass die jetzt heranwachsende Jugend durch ihr begrenztes Menschenbild überfordert wird. Der im Menschen vorhandene Drang nach Macht und Behauptungswillen wird nicht gesehen und die unbedingt zur Persönlichkeitsbildung notwendigen Grenzen können nicht klar genug gesetzt werden, da den Lehrern vom Rechtswesen und Schulamt jegliche Macht entzogen worden ist. Daher kommt es, dass ihre Einflussnahme auf die Erziehung der verwöhnten Kinder äußerst begrenzt. Dies umso mehr, als die Lehrer wiederum unter dem Kontaktmangel ihrer Kindheit (s. o.) leiden und entscheidende Persönlichkeitsmerkmale nicht ausgereift sind.

Durch den vorhandenen überbordenden Schutzraum entsteht bei diesen Kindern eine gewaltige Selbstüberschätzung, die später in der Berufswelt in Versagensängste umschlagen muss.