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Das Herzjesugebet

Jeder Menschen aus dem „Westen“ unserer Erde muss davon ausgehen, dass er durch die christliche Kultur der letzten Jahrhunderte geprägt worden ist. Das hat enorme Wirkungen in uns hinterlassen. Die grundlegenden mentalen, psychischen und sozialen Einstellungen und Sichtweisen jedes Menschen wurden so vom Christentum geformt. Dies wirkt auch in Menschen nach, die nicht mehr im christlichen Sinne gläubig sind.

An der Oberfläche unserer Persönlichkeit hat jeder Einzelne seine subjektive Einstellung gefunden, doch wenn wir in tiefere Schichten kommen, ähneln wir uns mehr und mehr. Das ist wie ein Automatismus. Aus dem christlichen Kulturkreis stammende Menschen werden demnach christliche Motive in sich entdecken, die aus dem buddhistischen Kulturkreis buddhistische Motive usw. Dieser Bereich gehört zu der Bilderebene oder Traumebene in uns.

Dringen wir noch tiefer in uns hinein, so erreichen wir universelle Ebenen, die mit Sicherheit für jeden Meditierenden aller Kulturkreise gleich sind. Dies wäre dann vergleichbar mit der Tiefschlafebene. Hier gibt es keine Bilder mehr, sondern nur noch „Empfindungen“ bzw. Wahrnehmungen. Diese „Inhalte“ des Universellen sind für mich Raum, Stille, Klarheit, Licht. Überlassen wir uns dieser Ebene wirkt sie zurück auf die „höheren“ Ebenen unserer Persönlichkeit, selbst auf die Erhöhung der Schwingung jeder Körperzelle.

Wenn wir von diesen Kriterien ausgehen, sollten wir uns auch mit unserer christlichen Tradition auseinander setzen, denn wohlgemerkt: Sie ist ein Teil unserer Tiefe. Am Geeignetesten dafür sind die christlichen Mystiker, am Ungeeignetesten die Amtskirche.

Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, in der ich in Indien und dem Buddhismus mein Heil gesucht habe. Das war am Anfang auch gut so. Doch irgendwann stellte sich eine Veränderung in mir ein, und ich entdeckte auch im Christentum die gleichen Voraussetzungen wie dort.

So stieß ich wieder auf das „Vater unser“ und das „Herz Jesu Gebet“.
Ich verglich die Wirkung der tibetischen Mantren, die ich oft sprach, mit diesen beiden Mantren und entdeckte, dass die tibetischen Mantren in mir recht funktional wirkten und die christlichen mehr das Herz, unser Zentrum, bewegten. Von vielen Menschen, die ich begleite, höre ich das Gleiche. Für einen Tibeter könnte es demnach genau umgekehrt sein.

Aus dieser Erfahrung heraus empfehle ich jedem Interessierten sich einmal eine Zeit lang mit dem „Vater unser“ oder dem „Herz Jesu Gebet“ zu beschäftigen.

Methode
Da die Worte uns vertraut sind, brauchen wir sie nicht zu visualisieren. Wir sprechen sie in unseren Brustraum hinein. Da in jedem gesprochenen oder gedachten Wort eine geistige Ebene mitschwingt, wird diese Ebene ihre Wirkung in uns entfalten. Was außerdem noch wichtig ist: Wir sollten uns hüten, diese Gebete mit einer bittenden Einstellung zu sprechen. Da gibt es nichts zu bitten.

Hier der Text des Herz Jesu Gebetes:

Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner.
(Eventuell statt „meiner“, „unser“.)

 

Kommentar der Korrekturlesenden:
Inhaltlich finde ich es immer schwieriger, etwas dazu zu "sagen", zu ergänzen. Deine Artikel sind immer sehr abgeschlossen, sehr rund. Ich brauche lange, um sie wirken zu lassen, da sie immer viele Ebenen ansprechen.
Zur Entwicklung des Herzjesugebets in mir kann ich sagen, dass Dein Vorlesen der "Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers" eine tiefe Wirkung hinterlassen hat. Das Buch gibt es in einer Neuauflage in der Reihe Herder Spektrum. Aber ich glaube nicht, dass selbst lesen diese Wirkung hervorruft. Als Körperhaltung entspricht diesem Mantra für mich, auf dem Bauch zu liegen - oder knien und die Stirn dabei auf die Erde legen. Ist es nicht Hingabe, eine tiefe innere Verbindung spüren?
Das "Vater unser" kam einfach wieder. Viele, viele Jahre konnte ich es nicht sprechen. Es war mir richtig unangenehm, es bei Schulgottesdiensten zu hören.
Für mich gehört in diesen Bereich auch "Herr, nicht mein, sondern Dein Wille geschehe".
Wir haben mit Dir vor einigen Jahren oft das "Om mani peme hung" gesungen. Dies war in einer Zeit, in der ich mich sehr geöffnet habe und deshalb auch prägbar war. Das gesungene Mantra ist für mich dem Herzjesugebet vergleichbar, und ich singe es auch jetzt noch manchmal so für mich, obwohl beim Herzjesugebet meine Kindheit mitschwingt, die kindlichen vertrauensvollen Gebete, es geht tiefer.
Das Guru Rinpoche-Mantra spreche ich vorwiegend, wenn mein Kopf so übervoll ist, also zur Reinigung der mentalen Ebene.
Meinst Du mit christlichen Motiven innere Bilder von Jesus, Maria, Gottvater, der Dreifaltigkeit, alttestamentarische Bilder von Adam, Eva, Abraham, Noah usw., die alle für etwas stehen?