Wenn wir während der Meditation die Unruhe als Meditationsobjekt nehmen
und genauer hinschauen, so entdecken wir: Wir leiden unter der Unruhe und sehen
nur die Unruhe.
Sie ist vor allem für viele Anfänger das große Hindernis bei
der Meditation. Doch hinter dem Phänomen der Unruhe verbirgt sich die
große Angst vor dem Lebendig werden und sein.
Betrachten wir die Unruhe genauer, so entdecken wir zwei Kräfte in uns:
1. Eine lebendige Kraft, die sich durchsetzen möchte und
2. eine beharrende Kraft (die Angst), welche die Muskulatur in einer Starre
hält.
Beide Kräfte „ringen“ nun miteinander um die Vorherrschaft.
Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie schnell die Menschen durch die Änderung der Sicht auf dieses Phänomen und das Zulassen der Unruhe in eine erfüllende Ruhe und sogar Stille kommen. Dies geschieht sogar bei Menschen, die von Meditation keine Ahnung haben. Doch für sich alleine schaffen sie es meistens nicht. Lange habe ich diesem Phänomen nachgespürt und mir meine Gedanken dazu gemacht. Dann fiel mir wieder ein Erlebnis ein, das ich in den ersten Jahren meiner Meditation hatte:
Ich hatte mich 1984 für einige Jahre als Lehrer beurlauben lassen und
lebte eigentlich nur in der Erforschung meiner selbst. Sehr intensiv beobachtete
ich die Wirkung der Erdungsübungen in mir. In unserem Becken gibt es einen
„Punkt“, den die Chinesen Vater/Mutter-Punkt nennen, meine ehemalige
Meditationslehrerin nennt ihn Chipunkt. Er befindet sich vom oberen Drittel
des Kreuzbeins aus gesehen etwa 3 cm im Inneren des Körpers. Er ist medizinisch
nicht zu orten.
Eines Tages saß ich in meiner Wohnung und eine heftige Energie wurde im
Becken lebendig. Eine unbändige Freude stieg aus dem Chipunkt in mir hoch.
Mein Gehirn produzierte als erstes den Gedanken: Jetzt gehe ich in mein Stammkaffee
und trinke einen Kaffee. Obwohl ich gleichzeitig wusste, dass ein Kaffee ausreichte,
diese Energie wieder zu zerstören, stand ich auf, ging zwei Tassen Kaffee
trinken.
Was war geschehen?
Es geht hier darum sich für die Leistung „mir geht es gut“ zu belohnen, statt zu sehen, dass das „Gutgehen“ an sich die Belohnung für unser Tun ist. Hier erliegen wir wieder unserem lange trainierten Leistungsgedanken. In dem Gutgehen ist somit immer ein Mitteilungsbedürfnis und die Sehnsucht nach Anteilnahme durch andere Menschen vorhanden - positiv- aber scheinbar ist uns dieses Glücksgefühl zu viel, um damit alleine fertig zu werden und unsere Lebendigkeit nur als das was sie ist anzunehmen und diesen „Schatz“ mit Wohlwollen zu betrachten…..
Seit dem beobachte ich dieses Reaktionsmuster bei den meisten Klienten: Sie
sehen nicht das angenehme in sich, sondern suchen das Negative und Verletzliche,
mit dem Ziel, wenn es verschwindet, geht es mir besser. Aber sie übersehen
das schon vorhandene Positive oder Angenehme. Sie schauen immer auf das, was
sie nicht haben oder noch nicht sind. Und übersehen das, was schon da ist.
Das bedeutet aus der psychologischen Sicht auch: das Positive in mir wohlwollend
anzusehen, anzunehmen und zu pflegen.
So ist festzustellen: Wir sind auch in der Meditation zu sehr zielorientiert.
Diese Einstellung bringt es mit sich, dass wir uns im „Erreichten“
nicht festigen und diese Festigkeit als Basis für Neues nutzen können.
So kommt es, dass wir uns immer wieder in der Gefahr befinden, in die alten,
anscheinend längst überwundenen Mechanismen (Ego), zurück zu
fallen.
Ich möchte diesen Widerstand „Die mangelnde Würdigung des augenblicklichen
Seins“ nennen. Wir wollen zu viel und erreichen gerade dadurch sehr wenig.
Diese Angst nicht genug zu bekommen und die mangelnde Würdigung des Lebendigen
in uns, scheint für uns (zumindest als Deutsche) eine markante Ursache
für die innere Unruhe zu sein.
Es scheint irgendetwas mit unserer Erziehung in Deutschland nicht zu stimmen,
denn Freude bringt immer Übermut, emotionalen Überschwang, unbändige
Kraft mit sich usw. und das bedeutet unkontrollierbar für andere zu werden.
Dass wir andere mit der freigewordenen Kraft mitreißen und somit die Freude
verbreiten oder verschenken können, wird übersehen. Überspitzt
ausgedrückt: Freude ist gefährlich für das Gemeinwohl, also verlagern
wir sie in die drei tollen Tage des Karnevals. In der übrigen Zeit des
Jahres bändigen wir sie und versteifen uns in zielorientiertem Handeln.
Kommentar des Korrekturlesenden:
„Diese Unruhe ist zugleich Verunsicherung, wir sehen oder spüren
eine andere Seite von uns und spüren diese Unsicherheit, die uns gleichzeitig
aus Angst vor Veränderung und weil wir an den gewohnten Dingen festhalten,
in altes Verhalten treibt.
Wir verbieten uns diese Unruhe, so wie uns unsere Eltern verboten haben am Tisch
rumzuzappeln, und kommen dahin etwas leisten zu müssen, damit wir uns selber
(und unsere Eltern) uns mögen - es entsteht ein funktionierender Kreislauf
in dem wir scheinbar gefangen sind.
Nehmen wir aber diese Unruhe auf und entdecken den Ursprungsort für diese
Unruhe in uns, haben wir die Möglichkeit, sie als das was sie ist, wahrzunehmen:
verbotene Lebendigkeit, die mit einer erfüllenden Ruhe in Beziehung steht
und Kraft und Klarheit beinhaltet
Das liegt daran, dass wir nicht lernen durften mit unserer Freude und Lebendigkeit zu leben, sie als etwas alltägliches in unser Leben mitzunehmen, sondern sie nur als etwas besonderes zulassen konnten, was aber nicht zu lange währen durfte. Leben heißt ja leiden und leisten oder??? Lassen wir sie aber zu, würde das auch bedeuten, das sich unser Herz öffnet und Mitgefühl entstehen könnte, dann würden wir zu wirklichen sozialen Wesen werden - ob das mit unserem Leistungsgedanken zu vereinbaren ist??“