Erden VI - Das Brechen der Schale
(Text vom 20.02.2003)
Schließlich gelangt der eine oder andere Meditierende zu einem Punkt, an dem das Wichtigste geschieht: das “Brechen der
Schale”. Dies ist ein Ausdruck, den Hetty Draayer, meine langjährige Meditationslehrerin, für einen der wesentlichsten
Schritte in der Meditation verwandte.
Das Brechen der Schale ist für uns Westler so fremd, dass ich lange gezögert habe, bevor ich mich entschloss, auch
darüber zu schreiben, um den Menschen zu helfen, denen dies geschieht. Doch es kann nur bei Beschreibungen und Hinweisen
bleiben.
1. Hinweis:
Man kann das Brechen der Schale nicht üben. Es geschieht oder geschieht nicht.
2. Hinweis:
Voraussetzung ist eine Ernsthaftigkeit, von der ist die ganze Persönlichkeit, eingeschlossen der transpersonalen
Persönlichkeit, ergriffenen.
3. Hinweis:
Diese Ernsthaftigkeit besagt, man ist bereit zu sterben oder verrückt zu werden.
4. Hinweis:
Alles wird in Frage gestellt, aber auch alles. Man sieht in nichts mehr einen Sinn, auch nicht in der Meditation. Eine
vollkommene Verzweiflung macht sich breit.
1. Beschreibung:
Ich möchte hier noch einmal auf die Beispiele in Erden I hinweisen.
Das erste Brechen geschah in einem Traum. Ich war wieder einmal für mehrere Wochen in Rütte, in dem Therapiezentrum von
Graf Dürckheim. Nach einer Therapiestunde Leibarbeit hatte ich nachts einen Traum:
Ich sah vor mir eine Tonbüste mit meinem Aussehen. Plötzlich bekam ich als Träumender panische Angst. Während dessen
bekam mein Abbild - und ich merkte, dass ich es gleichzeitig selbst war - starke Risse. Die Büste zerbrach, und dahinter
erschien gleichzeitig wieder das “Original”, so als sei nichts geschehen. In mir machte sich eine außerordentliche
Erleichterung breit. Gleichzeitig wusste ich, dass etwas Außergewöhnliches geschehen war. Nur was, blieb mir verborgen.
Im Nachhinein weiß ich, dass dies der Anfang meiner jahrelangen Schwierigkeiten war. Der Auslöser für diese
Schwierigkeiten war das fehlende Geerdet-Sein. Das Brechen der Schale fand nur vom Sonnengeflecht (Magenbereich)
aufwärts statt. Ich als “Gesamtpersönlichkeit” war noch nicht reif genug.
Im Laufe meiner Schwierigkeiten kam ich zu Hetty Draayer, und sie machte mich mit dem Erden vertraut. Da ich aber so "
vergeistigt" war, fiel mir der Zugang zum Erden ungeheuer schwer. Ich brauchte drei Jahre, bevor ich eine Ahnung davon
bekam, was das sein könnte. Schließlich geschah folgendes:
Ich befand mich mit meiner damaligen Freundin in einem großen Kaufhaus in Köln. Plötzlich hatte ich die absolut konkrete
Empfindung eines Erdbebens.
Die Erde schwankte so stark, dass ich mich aus Angst zu fallen, festhalten musste. Ich bekam für Sekunden eine panische
Angst. Wäre nicht meine Freundin bei mir gewesen, die mir versicherte, dass äußerlich nichts passiert war, so hätte ich
die Überzeugung gehabt, ein starkes Erdbeben zu erleben.
Gleichzeitig ahnte und wusste ich, dass mit mir etwas Seltsames geschehen war. In den darauf folgenden Monaten merkte
ich, dass sich - ohne mein Zutun - mein Menschen- und Weltbild änderte. Kurz: Es wurde nüchterner. Gleichzeitig wuchs
ein ungeheurer Drang, dieses neue “Wissen” weiter zu geben. Ich begann mit der Meditationsgruppenarbeit. Dieser Drang
war allerdings völlig frei von dem für die Persönlichkeit üblichen Ehrgeiz. Ich sah mich immer nur als jemand, der sich
zur Verfügung stellt. Diese Einstellung blieb bis heute, und so schreibe ich auch die Artikel dieser Webseite. Sie sind
ein Angebot für die, die finden möchten. Mehr sollen sie nicht sein. Ich bin kein Missionar.
5. Hinweis:
Das Leben kann bei allen Problemen, die durch andere Menschen und durch uns selbst geschehen, sooo einfach sein.
6. Hinweis:
Das Leben ist, wie es ist. Es lohnt sich nicht, sich ein besseres zu wünschen.
7. Hinweis:
Ich habe meinen roten Faden des Lebens gefunden. Es bleibt nichts anderes, als ihm zu folgen. Da gibt es nichts zu
erreichen. Das Ziel ist längst da, war immer da und wird immer da sein.
So “dramatisch”, wie es mir geschah, ist das Brechen der Schale oft nicht. Allerdings ist ein leichtes Erdbeben so gut
wie immer zu spüren. Dieser Ruck, der durch uns geht und von uns immer auch außerhalb unseres Körpers wahrnehmbar ist,
bleibt das entscheidende Zeichen.
8. Hinweis:
Wir fühlen uns nicht mehr im Körper eingeschlossen. Der Körper ist zur Erde geworden. Er ist in uns und gleichzeitig
sind wir in ihm.
9. Hinweis:
Nach dem Brechen der Schale erscheint das Paradoxon, in dem wir Menschen leben, noch offensichtlicher. Wir sind danach
jemand völlig Anderer und doch absolut der Gleiche.
10. Hinweis:
Das Leben der meisten Menschen erleben wir als Existenz von Kindern, die nichts dazu gelernt haben und auch nicht
lernen “wollen”/“können”. Doch in uns ist keine Arroganz. Sie kann nicht entstehen, weil das Ego nicht beteiligt ist.
Wir nehmen die Menschen, wie sie sind. Sind aber immer bereit, ihnen beizustehen. Wir können gar nicht anders.
2. Beschreibung:
Erster Brief
“Lieber Rudi!
Die Betonung auf das Erden stellt für mich den Hauptgrund dar, warum ich zu Dir gekommen bin - und nicht bei einem
anderen Meditationslehrer gelandet bin. Das Erden ist für mich absolut existenziell, um nicht abzuschweben. Ich denke,
sehr viele Menschen haben es nötig, auch die, die auf den ersten Blick sehr “erdhaft” oder gar materialistisch
daherkommen. Bei vielen, denen ich begegne, spüre ich, dass sie irgendwo da oben aufhören und dass es ihnen sicher gut
täte, sich nach unten zu öffnen. Das gibt Wärme, Gelassenheit, Ruhe, Sicherheit, auch Weite. Ja, das habe ich erst spät
gelernt, dass Erdverbundenheit Weite und Freiheit gibt, während ich vorher die Erde mit Schwere verbunden habe. Das war
eine schöne Erfahrung. Auch Leichtigkeit und Heiterkeit gehören dazu.
Letztens hatte ich eine Erfahrung, da spürte ich unter mir ein Erdbeben, das mich dann erfasst hat. Das war sehr
beängstigend, aber dann sehr befreiend. Da dachte ich, oh, noch ein anderer Aspekt: Die Erde kann auch absolut reinigend
wirken, indem sie alles zum Einstürzen bringt. Das Brummeln war eine gewaltige Energie, eine Urkraft, die da unter mir
rumorte und auch mit mir spielte. Auch eine weibliche Kraft.”
Dieser Brief war ein großes Geschenk an mich, denn ich versuchte gerade, die komplexe Bedeutung des Erdens ein wenig zu entzerren und Schwerpunkte zu finden. Dazu gehört natürlich als Höhepunkt “das Brechen der Schale”. Ich hatte um eine Beschreibung gebeten, und daraufhin folgte der zweite Brief.
Zweiter Brief
“Rudi hat mich gebeten, über meine Erfahrungen zum Thema zu schreiben. Das fällt mir gar nicht so leicht, denn das " Ereignis” fand in einer Art Halbwachzustand statt, wo die Erinnerungen schnell verwischen, zudem habe ich sie auch nicht sofort notiert, da mir das Ereignis gar nicht sehr spektakulär vorkam. Hätte Rudi nicht nach unseren Erderfahrungen gefragt, hätte ich es ihm vielleicht gar nicht erzählt.
Also, ich lag vor ca. 2 Wochen morgens in meinem Bett und hätte gern weitergeschlafen, da ich nach einer langen Nacht noch todmüde war, konnte es aber nicht. Um nicht durch meine Gedanken vollends wach zu werden, konzentrierte ich mich auf meinen Körper, wie er schwer auf dem Bett auflag. Vielleicht machte ich auch die eine oder andere Übung. Auf jeden Fall hatte ich bald einen besonderen Kontakt zur Erde. Plötzlich erschienen mir Schreckensbilder aus meiner Kindheit, die Angst, in der Erde eingeschlossen zu sein und ähnliches. (Solche Szenen fand ich immer am gruseligsten!) Ich versuchte, bei dieser Empfindung zu bleiben und spürte plötzlich tief unter mir ein Grollen, das aus der Erde kam, ein Beben, das von unten her meine Füße und Beine und schließlich den ganzen Körper erfasste und verschlang. Nach dem ersten Schrecken empfand ich das Ganze als sehr angenehm, die Erde erschien mir wie ein warmes, lebendes Wesen, das mich mit seiner Kraft umspült und erschüttert. Das Beben brachte alles zum Einstürzen und kam mir daher wie eine reinigende Kraft vor. Mein Kopf fragte sich noch, wie ein Erdbeben angenehm und reinigend sein könne. Aber tief in mir spürte ich, dass es gut war und ungefährlich, wenn ich mich für diese warme und lebendige Kraft öffne. Das Beben dauerte nur zwei, drei Sekunden. Aber ich behielt einen Nachgeschmack von Wärme, Ruhe und vor allem Erleichterung. Ich kam mir plötzlich ganz leicht vor, als hätte sich tief in mir etwas gelöst. Auch fühlte ich mich gar nicht mehr müde sondern sehr vital.
Wenn ich jetzt darüber nachdenke, was sich seitdem verändert hat, fällt mir am meisten auf, dass ich plötzlich einen viel offeneren Zugang zum Becken und zur Erde habe. Ich hatte es mir angewöhnt, immer wieder in die Füße zu gehen und Kontakt zur Erde aufzunehmen. Wenn ich dies jetzt aus Gewohnheit tue, bin ich jedes Mal erstaunt, dass die Verbindung schon da ist. Ich muß mich gar nicht mehr bemühen sondern es einfach nur wahrnehmen und zulassen. Wenn ich mich auf das neue Gefühl einlasse, spüre ich auch, dass der ganze Körper mit der Erde verbunden ist, das ist sehr schön. Aber ganz schnell “vergesse” ich es auch wieder. Das ist auch eine interessante Erfahrung, dass man die schönen Dinge, selbst wenn sie schon da sind, gar nicht so annimmt. Vielleicht hat es auch mit Gewöhnung zu tun. Mehr kann ich zu den Veränderungen noch gar nicht sagen, aber ich werde weiter beobachten, ob Rudi nicht völligen Stuss geschrieben hat…"
Dies soll als Hinweis reichen. Vielleicht hilft es.