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Meditation im Supermarkt

(Text vom 07.02.2003)

Eine andere gute Situation zum Meditieren bietet der Supermarkt.
Gerade im Supermarkt drohen unsere Sinne ständig überfordert zu werden.

1.
Die Ratio sucht ein bestimmtes Produkt, doch die Augen melden hunderte!

2.
Die Ohren melden die vielfältigsten Geräusche an das Gehirn und stören dadurch die Konzentration auf das gesuchte Produkt.

3.
Ständig muss man jemandem ausweichen, um nicht in Körperkontakt zu kommen oder von Einkaufswagen angerempelt zu werden.

4.
Da das Schmecken und Riechen fehlt (das sind die eindringlichsten Sinne), wie es der orientalische Basar bietet, fühlen wir uns auch nicht wohl. Wir finden dadurch die Atmosphäre unangenehm und fremd. In uns wird dadurch auch noch der Fluchtinstinkt mobilisiert. Wir werden hektisch, denn wir können nicht flüchten. Die Ratio befiehlt uns, die entsprechenden Waren zu suchen. Dadurch schlägt der Fluchtinstinkt in Aggression um. Wir werden noch hektischer.

5.
Und nun kommt die Erlösung: Wir dürfen an der Kasse in einer langen Schlange stehend warten, weil die zweite Kassiererin gerade zur Toilette muss! Jetzt quetscht sich noch jemand unverschämter Weise von links vor uns in die Schlange hinein. Ein anderer schiebt sich, den Naiven spielend, unmerklich von rechts in die Schlange.

6.
Obwohl man so eng beieinander steht oder gerade deshalb, sind die Sozialkontakte gleich null. Jeder ist mit seinen Gedanken beschäftigt und schaut gelangweilt (Gewaltlosigkeit signalisierend) auf die interessanten Auslagen an der Kasse. Ein Augenkontakt findet nicht statt. Von hinten schiebt ein ungeduldiger Rentner ständig seinen Wagen in unsere Kniekehlen. In diesem Moment kommt die andere kassiererin zurück - schon wieder stehen wir an der falschen Kasse! -.

7.
Unser Fluchtinstinkt ist neutralisiert. Die Aggression fällt schließlich auch in sich zusammen. Wir warten apathisch (die Emotionen verdrängend), bis wir von unserer Kassiererin erlöst werden.

8.
Dann raffen wir unsere Siebensachen zusammen und stürmen befreit durch die Tür auf die Straße.

Nun muss der Leser mir einen Szenensprung erlauben:
Um die mentalen, emotionalen und die sensorischen Reaktionsmuster in uns kennen zu lernen, haben die Tibeter über Jahrhunderte eine Übungspalette entwickelt. Es gibt die Meditation auf das Wasser (fließen, Geräusch), auf die Luft (Bewegung, Bedrohung bei Sturm), auf der Verbrennungsstätte oder anderen Orten. Diese Übungen müssen jahrelang durchgeführt werden.
Wir meditierenden Stadtmenschen bedauern natürlich, dass wir diese Gelegenheiten nicht haben. Sehen wir aber genauer hin, so erkennen wir, dass der Besuch im Supermarkt, oder der Gang durch die verkehrsreiche Stadt oder die von Menschen voll gestopfte Fußgängerzone, die gleichen Voraussetzungen bieten.
Natürlich wäre es angenehmer, vor einem fließenden Bach zu meditieren, doch auf das Angenehme daran kommt es wirklich nicht an. Der meditierende Tibeter wird sich sicher nicht von der Romantik des Baches ablenken lassen. Er meditiert auf das Fließen (Sehen) und das Geräusch (Hören). Das können wir an der belebten Verkehrsstraße auch! Hier kommt sogar noch der Geruchssinn hinzu!
Das Ganze klingt für den Leser sicher etwas sarkastisch, ist es auch, und trotzdem meine ich es ernst!!! Wir haben nicht die Gelegenheit in einer weiten, dünn besiedelten Landschaft zu meditieren und so nehmen wir die Situationen, wie sie sind. Da bietet sich im Supermarkt eine wirklich gute Gelegenheit: seine Präsenz, seine Wahrnehmung auf die Reaktionen des Inneren zu schulen und sogar sein Gewahrsein zu finden.

Dazu eine Übung als Hilfe:
Bevor wir in den Supermarkt gehen, besinnen wir uns auf unsere Füße. Wir spüren in die Fußsohlen und bilden dort ein Dreieck: Von der Außenseite der kleinen Zeh zur Außenseite der dicken Zeh und die Spitze des Dreiecks befindet sich in der Ferse, dort wo die Achillessehen angewachsen ist. Durch das Dreieck geben wir der transpersonalen, energetischen Ebene in uns Stabilität. Wir stellen uns vor, durch diese beiden Dreiecke (zwei Füße) ein- und ausatmen zu können. Dann versuchen wir, während des Aufenthaltes im Supermarkt, alles was in- und außerhalb von uns geschieht, von diesen Dreiecken her wahrzunehmen.

Es geht mir bei diesem Übungsvorschlag nicht darum, unsere individuellen Reaktionsmuster zu erforschen (therapeutisch gesehen), sondern uns zu schulen, das Wirken der Ebene zu finden, von der her wir das Wirken der Reaktionsmuster wahrnehmen können!!!
Dies geht in dieser Situation oft besser als in einer stillen Meditation an einem stillen und somit geborgenen Raum. In Letzterem geht es um ganz andere Forschungen.