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VII. Das Kreisen des Lichts im täglichen Leben

Kommentar: An diesem Kapitel wird besonders deutlich, welche Voraussetzungen dieser Meister an den Meditierenden stellt. Lapidar stellt er fest, dass das Kreisen des Lichts im Alltag weitergeführt werden kann. Ich denke, dass dies aus der völlig anderen Lebenseinstellung der damaligen Zeit und der anderen Kultur entspringt. Es gab kein gehetztes Leben, die Gier nach Konsum kannte man höchstwahrscheinlich nicht und neurotische Anteile, die es mit Sicherheit gab, wurden nicht beachtet.

In diesem relativ beschaulichen Leben, in dem es für die Mehrheit nur ums Überleben ging, hatte man für diese Anweisungen noch einen natürlicheren Zugang. So kommt es (vergleiche diesen Artikel mit Artikel VIII.), dass in der Anweisung zum täglichen Leben nur wenige Sätze genügen. In unserer Zeit und unserem Lebensstil sieht dies völlig anders aus. Der Schwerpunkt der meditativen Schulung muss beim Ist-Zustand beginnen und dieser existiert aus einer erschreckenden Entfremdung von uns selbst und der extremen Individualisierung. So kann ich nur vor dieser starken Übung für Anfänger warnen. Es gibt Menschen, die sehr empfänglich für ihre Wirkung sind und dann durch die massiv freiwerdenden Energien mit Verwirrung und einem chaotischen Allgemeinzustand reagieren. Darum hat es sich für mich herauskristallisiert, dass wir erst unsere Persönlichkeit in eine relative Balance bringen müssen und das ist mit meinen Erdungsübungen möglich. Gleichzeitig gilt es, sich den immer bewusster werdenden persönlichen und naturhaften Mechanismen zu stellen. Auf diese Weise entwickelt sich in uns eine neue Instanz, die ich „der Beobachter“ nenne. Er ist an das Körperempfinden gekoppelt und hilft uns, auch jegliche Alltagssituation als Meditation zu nutzen. Danach kann man meine empfohlenen Übungen weitgehend vergessen und mit dem Kreisen des Lichts die innere Balance aufrechterhalten. Nun beginnt der innere Weg in die, in diesem Buch, eindringlich beschriebenen Tiefen.

Kommentar der Korrekturleserin: Ja, das ist ja etwas, was ich ganz massiv erfahren habe. Meinst du ganz konkret, den kleinen Energiekreislauf als Haupt-Alltagsübung zu machen? (Antwort: Ja)

Ich stelle mal dar, wie es für mich aussieht:
Der Umgang mit dem kleinen Energiekreislauf kann nur ein sehr bewusster Umgang sein, der vieles im Menschen voraussetzt, der mit ihm arbeitet: Ein gutes Geerdet-Sein, gute Kenntnisse der eigenen Persönlichkeit, ein selbst-bewusster Umgang mit sich selbst. D. h. konkret, mich ständig dabei aus der Körperwahrnehmung heraus beobachten, bei zu viel Energie mich mehr erden, Vorstellungen als Vorstellungen erkennen, mich nicht von ihnen irreführen lassen, Emotionen als solche erkennen und sie benutzen, um mich zu reinigen. Das, was zählt ist woanders, nicht in den Alltagsverrichtungen, nicht in den Vorstellungen und Emotionen.

1. Meister Lü sprach: Man sollte sich gründlich und ausdauernd im Kreisen des Lichts üben. Dabei braucht man seine tägliche Arbeit nicht aufgeben. Die Alten lehrten: „Wenn sich Aufgaben stellen, soll man sie zuverlässig erfüllen. Um die Dinge des Alltags soll man sich eingehend kümmern.“
Wenn ihr euch in rechter Weise einer Angelegenheit annehmt, so wird das Licht dadurch nicht beeinträchtigt und zirkuliert von selber fort. Dies ist der gestaltlose Lichtkreislauf, der sich zuweilen in der Welt der Erscheinungen manifestiert. Es ist dem Menschen möglich, sogar diesen gestaltlosen Lichtkreislauf wahrzunehmen. Wie viel mehr den tatsächlichen Kreislauf des Lichts, der in den Dingen und durch sie in Erscheinung tritt.

Kommentar: Durch diesen Schritt, das Kreisen des Lichts auch in den Alltag zu übernehmen, bekommt unser Leben einen völlig anderen Sinn. Meditieren viele Menschen des Westens, um mit Hilfe der Meditation das Alltagsleben besser bewältigen zu können, so beginnt mit dieser neuen Einstellung der Alltag als Mittelpunkt des Lebens an Bedeutung zu verlieren. Im Zentrum steht nun die innere geistige Entwicklung und der Alltag verliert seine absolute Wichtigkeit.
Trotzdem darf man den Alltag nicht vernachlässigen. Man muss sich den Gegebenheiten so stellen wie sie sind. Dadurch fallen alle Vorstellungen weg. Die Vorstellungen entstehen meistens aus einer irregeleiteten Sinnsuche. Den Sinn im Leben hat man mit dieser Übung jedoch schon gefunden.
Hier wird also auf die innere Einstellung und die Änderung der Sicht hingewiesen. Wenn ich klar und wach meine Aufgabe erfülle, bin ich in der Meditation und unterbreche nicht den Kreislauf, da die neurotischen Anteile in mir schweigen.
Wir sind dann an Erfolg oder Misserfolg nicht gebunden und somit emotional und mental still geworden. Gerade die Vorstellungen erzeugen in uns emotionale und mentale Verwirrung, durch die wir uns so oft verlieren und somit leiden.

Ist man im Inneren ganz geklärt und nicht in Vorstellungen verloren, lebt man explizit im Hier und Jetzt. Man erkennt nun erst, wie in den Dingen dieser Welt ein strahlendes Licht verborgen ist.

2. Wenn man im Alltag Stunde um Stunde das Licht in den Dingen und in seinem Tun sich spiegeln lässt, ohne um Haaresbreite davon abzuweichen, ohne den leisesten Gedanken an sein Ich dazwischentreten zulassen, so heißt dies: Das Licht kreisen lassen in der Welt. Dies ist der erste geheime Erfolg.

Kommentar: Hier wird besonders deutlich, von welchen Voraussetzungen dieser Meister ausgeht. Diese Voraussetzungen schaffen wir erst nach vielen Jahren Vorarbeit und fallen trotzdem immer heraus. Damit müssen wir uns abfinden. Diese Anleitung in unserer Arbeitswelt zu befolgen, ist nicht möglich. Demnach geht es darum, den Weg in diese Tiefe so stabil auszubauen, dass wir zu jeder Zeit wieder dahin zurückfinden. Um diesen Weg aufzuzeigen und zu ermöglichen, habe ich die vielen Artikel dieser Website geschrieben und weitere werden folgen.

3. Es ist sehr zu empfehlen, in der Morgenfrühe sich aus allen Verstrickungen zu lösen und sich für ein oder zwei Stunden zu stiller Meditation hinzusetzen. Hat man sich darauf seinen Geschäften und Verpflichtungen zu widmen, sollte man sich dabei bemühen, das Licht ungestört sich spiegeln zu lassen. Übt man sich in dieser Weise ohne Unterlass, ohne auch nur eine Minute der Unterbrechung, während drei oder sechs Monaten, werden alle Vollendeten aus den Himmeln herbeieilen, um solches Bemühen zu besiegeln.

Kommentar: Es ist sehr interessant, hier das wieder zu finden, was ich in vielen Büchern über Meditation entdeckt habe, dass die Schwierigkeiten, die diese intensiven Übungen im Menschen erzeugen, nicht angesprochen werden. Hier versagen regelrecht diese Anleitungen. Würde ein Meditierender mit diesem Kreisen des Lichtes beginnen, bekäme er enorme Schwierigkeiten. Er verfiele in ein beängstigendes Chaos, was von den Meistern auch gesehen wird (siehe VI. Kapitel), aber er würde darüber hinaus auch in seiner Persönlichkeit instabil und die Gefahr, dass er seine Arbeitsstelle verliert wächst enorm. Dieses Instabile habe ich selbst zu Beginn meiner Meditationsarbeit erlebt. Allerdings habe ich damals eine andere Methode gewählt. Daraufhin wurde ich von den Therapeuten zu Hetty Draayer geschickt und sie sagte nur, als sie mich das erste Mal sah: „Sie sind überleuchtet, runter!“ Dieser Satz reichte aus, mich erkannt zu fühlen und ein unerschütterliches Vertrauen in sie zu erzeugen. Heute weiß ich, wie mühsam der Weg zum WEG ist. (Vergl. auch „Das Labyrinth von Chartres“)


Ich möchte hier von meiner Linie abgehen und einige Kommentare aus dem Buch wiedergeben, um zu zeigen, welche Vorarbeit der Meister von uns erwartet:

1. Denn wenn jemand in rechter Weise sucht und die Sphäre der wunderbaren Erfahrung betritt, so wird sein Geist wie ein Wasserspiegel: Die auftauchenden Dinge reflektiert er; verschwinden sie wieder, so ziehen Geist und Lebenskraft sich in ihre stille Einheit zurück und lassen sich nicht durch Vergängliches ablenken und zerstreuen. Dies meint der Meister, wenn er sagt: „das Licht spiegeln lassen, ohne um Haaresbreite davon abzuweichen, ohne den leisesten Gedanken an sein Ich“. (S. 136 d)

2. Wenn der Suchende es vermag, sein wahres Denken im Offenen von chi wohnen zu lassen, so braucht er sich nicht zu bemühen, das Licht zum Strömen zu bringen, und trotzdem strömt es. Wenn aber das Licht strömt, so erzeugt sich das Elixier von selbst, und die Geschäfte des Alltags vermögen es nicht zu schmälern. (S. 136 e)

3. Anders verhält es sich mit dem Anfänger: Bei ihm werden Geist und Lebenskraft zu sehr abgelenkt und verwirrt (san-luan) durch die Angelegenheiten der Welt, wenn er sie nicht entschlossen beiseite legt und einen ruhigen Ort aufsucht, um sich ungestört dem Werk des Wärmens und Schmelzens zu widmen. Sonst mag es geschehen, dass er den Tag zwar voll guten Willens beginnt, aber des Abends erschöpft und träge innehält – wie sollte er auf diese Weise zum tiefinnersten Geheimnis vordringen können?