Wie Oben So Unten

Übungen zu Sammlung

Ein Brief an Übende

Im Raum des Körpers gibt es viele Punkte, bei denen wir das Verweilen üben können. Nehmen wir als Beispiel den Dantiempunkt im Becken. Er befindet sich zwei Fingerbreit über dem Schambein in der Haut der Bauchdecke. Er gleicht die Energien von innen und außen, oben und unten, hinten und vorne, rechts und links aus. Darüber hinaus sammelt er die überschüssigen Energien und kann nicht überladen werden, wie z.B. der Punkt zwischen den Augenbrauen. Zusätzlich kommen wir über ihn in die Ebene der Kraft und der Klarheit, wenn wir uns gleichzeitig mit der Erde (über das Bild der Wurzeln, s. „Erden“) verbinden.

Wir gehen noch einen Schritt weiter und versuchen, das Herz zu öffnen, indem wir uns eine Seerosenknospe im Raum der Brust vorstellen. Diese Seerose ist im Bereich des Dantiempunktes und des 9ten Chakras (jenseits des Beckens beim Sitzen oder jenseits der Füße beim Stehen) verwurzelt.

Man kann diese Übung unterstützen, indem man alles, was einen wertvoll ist, zu Hilfe nimmt und in die Knospe, die innen goldgelb ist, einfließen lässt. Dazu gehören besonders geistige Güter: Freundschaften, Ideale, Gebete, Gedichte und andere kostbare Wertvorstellungen.

Wenn sich irgendwann der ganze Raum um uns, mit dem Körper als Mittelpunkt, öffnet, versuchen wir in noch feinere Räume vorzudringen. Dabei müssen wir uns vor äußeren Störungen auf jeden Fall schützen: Telefon abstellen, Türen schließen usw.
Unterstützt wird diese Form der Meditation durch Rituale und Zeremonien: Sich immer in einer bestimmten Form auf das Kissen setzen, Kerze anzünden, ein schönes Bild nehmen oder eine schöne Figur, keine Musik bitte. Die eigentliche Musik ist in uns. Wir finden unseren individuellen Ton in uns, aus dem unsere persönliche Musik entsteht.

Man kann nach jeder Meditationsphase ein Gedicht als Abschluss schreiben. Es sollte niemandem gezeigt werden.
Vermeidet mehr und mehr das Nörgeln über andere Menschen oder Situationen. Dieses Nörgeln vergiftet uns selbst. Das äußere Leben ist wie es ist; es hat seine festen Gesetzmäßigkeiten und bietet weniger Freiheit als wir glauben. Der eigentliche Schatz des Lebens, der Reichtum vielfältigster Art, ist nun wirklich nur in unserem Innern. Von hier aus können wir die Freiheit auch nach außen tragen. Jetzt beginnt das Bibelwort Wirklichkeit zu werden: "Wer die ganze Welt gewänne und an seiner Seele schaden nähme....!"

Um den Reichtum des Inneren noch mehr zu gewinnen und zu nähren, machen wir die Bildmeditation mit der Seerose im Herzraum.

Hier geht es aber weniger um die Form des Bildes, als vielmehr um die Innere Schau. Diese Schau ist ein spezieller Zustand. In ihr fühlen wir uns ganz, heil und stark. Die Tibeter nennen diesen Zustand den Vajrakörper. Sind wir mit ihm identifiziert, wissen wir, dass uns nichts zerstören kann. Selbst wenn wir im Außen alles verlieren würden, blieben wir in dieser inneren Geborgenheit heil. Die Unabhängigkeit von äußeren Situationen ist dann total, ohne dass wir aus dem Du mit anderen fallen. Das Du heißt bei den Tibetern Boddhicitta.

Ohne dieses Du wären wir nicht im Vajrakörper. Es wäre Sturheit, Verbissenheit, Depression usw.
Wir sind bisher geübt im Umgang mit Energien, wir können sie harmonisieren, ausgleichen und stärken. Im Zustand des Vajrakörpers sind wir Harmonie, Ausgeglichenheit, Stärke, Kraft.

Dafür lohnt es sich schon, einige alte Unannehmlichkeiten aufsteigen zu lassen und anzuschauen, wieder freizugeben und zu lernen, zu unserer Mitte zurückzukommen. Im Zentrum unserer Mitte wartet dieser Vajrakörper. Es ist die Verbindung zwischen dem 8ten (etwa 40 cm über dem Kopf) und dem 9ten Chakra (etwa 40 cm unter uns in der Erde). Dann sind wir nicht mehr ein normaler Mensch, der von seinen Vorstellungen und Emotionen gebeutelt wird, sondern kosmische Wesen. "Wir sind dann wie wir vom Schöpfer gemeint sind", sagte meine Meditationslehrerin Hetty Draayer.

Nun ein Zitat aus "Reise in den inneren Raum" von Chökcham Trungpa:
"Wenn wir die Verbindung zum ozeanischen Erleben verlieren, entwickeln wir Phantasiebeziehungen zu Phänomenen. Sobald wir uns mit Phantasiebeziehungen zu Phänomenen abgeben, befinden wir uns aufgrund des Wunsches, unser Gefühl der Individualität zu erhärten, im Bereich des Urteilens und der Manipulation. Wir fürchten dann das ozeanische Erleben als Negation der Individualität. Doch wenn wir nicht Augenblick für Augenblick erleben, dass Individualität aus ozeanischem Erleben entspringt, wird erstere von Einbildungen überschwemmt, die absurd, überhitzt oder sinnlos sind.
Die abgetrennte Individualität schafft die instabile Illusion, dass wir über feste Definitionen verfügen.

Wir müssen nur deshalb kämpfen, um diese Illusion aufrechtzuerhalten, weil unsere anfanglose Erleuchtung unsere manischen Spiele unterminiert. Wir schweben ständig am Rande müheloser Aufmerksamkeit, lenken uns jedoch gleichzeitig ständig ab, um unsere abgetrennte Individualität aufrechtzuerhalten."

Das Leben ist in erster Linie Bewegung, nicht Beharrung. Erinnerungen und Wünsche sind Beharrung.

Überlassen wir uns der Bewegung, gleich Veränderung, befinden wir uns inmitten des Lebens. Wir suchen jetzt inmitten dieses Lebens den stillen Mittelpunkt, von dem aus wir die innere und äußere Bewegung - gleich Veränderung - gleich Leben, genießen. So können wir in Zukunft in jedem Augenblick sterben und als neues Wesen wiedergeborene werden, denn wir sind frei. Dies ist die eigentliche Freiheit des Menschen.

Durch Sammlung in unserer Mitte entwickelt sich in uns der Beobachter aus der Stille und von hier aus nehmen wir dann teil am bewegten Leben. Ein Paradox: Wir sind Stille und bewegtes Leben.
Denkt darüber nach und vor allem:

Übt und lasst Euch darauf ein!