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Der fruchtbare Dialog

Um im Alltag wirklich meditieren zu können, benötigen wir Meditationsobjekte. Es gibt überlieferte Meditationsobjekte wie Mantren, Bilder oder Figuren. Man kann aber auch über den Körper, die Atmung, die Emotionen, die Gefühle oder Gedanken meditieren.

Für Menschen, die am normalen Alltagsleben mit Familie und Beruf teilnehmen, empfiehlt es sich, die Situationen zu nehmen, die sich durch das Umfeld ergeben. Normalerweise regieren uns die Vorstellungen. Dabei ist es gleichgültig, ob es uns gut oder schlecht geht, ob wir Probleme haben oder vorübergehend problemlos leben. Diese Vorstellungen sind wie Naturgesetze. Leider gehören sie allerdings zu den größten Feinden des Meditierenden. Wie können wir uns von ihnen lösen?

Dazu möchte ich hier eine Analogie anbieten:
Aus einer kleinen Frucht wird im Laufe der Zeit ein riesiger Baum. Er ernährt sich von Mineralien (Körper), Wasser (Emotionen) und den vielen Botenstoffen der Erde (Gefühle), aber auch von der Luft (Atmosphäre) und der Sonne(Geist). Bevor Luft und Sonne aktiv werden können, muss das Erdreich, in dem der Samen liegt, in seiner Zusammensetzung stimmen. Ohne dies beginnt kein Wachstum.

So ist es auch mit uns. Ohne uns mit den beteiligten Gefühlen, Emotionen und Körperreaktionen vertraut zu machen, sie ernst zu nehmen oder abzufragen, können wir keine uns befriedigenden Lösungen finden.
Versuchen wir durch logisches Denken, gepaart mit den Vorstellungen, zu Lösungen zu kommen, so liegen wir immer haarscharf –oder völlig- daneben. Beziehen wir uns mit unserer Logik jedoch auf die inneren Reaktionen, so liegen wir zumindest aus der individuellen Sicht immer dicht an der Wahrheit.

Das können wir üben. Wenn dieser Prozess zu Beginn Stunden und Tage dauert, so wird er sich mit der Zeit auf Minuten und zuletzt auf Sekunden reduzieren. Schließlich sind wir so vollständig gereinigt, dass das "Abfragen" des Inneren unmittelbar erfolgt und wir auch unmittelbar reagieren. Wir sind wach geworden, wir sind erwacht. Wir leben im Hier und Jetzt. Wir horchen und gehorchen.

Um nichts anderes geht es in der Meditation. Das ist Meditation. Diese erreichte Wachheit können wir dann im stillen Sitzen in der Auseinandersetzung mit den inneren Reaktionsmustern beibehalten. Das Leben im Alltag hat uns einen großen Schritt zu uns selbst gebracht.

Dann gilt es, diese gefundene Wahrheit nicht als Absolutes zu sehen und einzustufen. Es ist unsere Wahrheit. So wie wir unsere Wahrheit haben, müssen wir dem Gegenüber zugestehen, dass er seine eigene Wahrheit hat. Nun hören wir uns seine Wahrheit an und tasten unser Inneres auf seine Reaktionen ab. Schließlich schalten wir die Logik wieder ein und äußern uns. In dieser Äußerung liegt dann weder Angriff noch Flucht, so dass unser jeweiliges Gegenüber von diesen generell unbewusst ablaufenden Mustern - zumindest durch uns - nicht aktiviert wird. Wir ermöglichen ihm damit, uns vorbehaltloser zu begegnen. So ist er in der Lage, uns seine Einstellung zu der vorliegenden Problematik mitzuteilen. Auf diese reagieren wir wieder in entsprechender Weise usw.

Jeder wird mir glauben, dass dies ein jahrelanger, schwieriger Prozess ist. Mehr noch: Es ist ein Kampf mit mächtigen inneren Kräften. Die herausragendste Kraft ist der Wunsch, die Welt so zurechtzurücken, wie wir sie haben wollen. In dieser Welt sind wir natürlich immer die Guten. Die Guten haben automatisch recht und die anderen unrecht. Um dies so zu sehen, brauchen wir die Vorstellungen, die Übertragungen, die Projektionen usw. Diese wiederum aktivieren Kräfte, die uns von der Natur eingepflanzt wurden, wie den Willen zur Macht, und so weiter, und so weiter.....
Dieser ganze Prozess der Irrtümer, der Fehlurteile, der daraus resultierenden Kämpfe und Kräche fällt aufgrund der oben beschriebenen Methode automatisch in sich selbst zusammen.

Die wichtigste Voraussetzung aber ist, dass wir uns selbst ehrlich gegenüber sind, dass wir in Kontakt mit unserer Empfindungsebene sind, so dass das, was ich oben aufgezeigt habe, nackte Realität geworden ist - und nicht länger ein "ich glaube".

Diesen Prozess der Auseinandersetzung mit sich selbst, diesen Versuch der Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, nehmen die anderen als Ausstrahlung wahr. Es ist eine positive/kraftvolle/vertrauenerweckende Ausstrahlung. Sie ist unabhängig davon, ob es uns subjektiv gut oder schlecht geht. Die anderen bekommen ein berechtigtes Vertrauen zu uns. Dieses Vertrauen stärkt uns wiederum und hilft uns, aus den inneren Verwicklungen herauszukommen. Wir ent-wickeln uns. Aus der Negativspirale ist ein positiver Prozess geworden. Durch Gewöhnung läuft dieser Prozess schließlich automatisch ab. So fallen wir auch nicht mehr völlig in die Vorstellungswelt zurück.

Die gleiche "Methode" können wir natürlich auf jede andere Situation unseres Alltagsleben übertragen.

Beispiel:
Da wird eine üble Meinung oder Aussage über mich von einem Dritten an mich herangetragen. Ärger steigt hoch. Ich weiß, diese Aussage ist immer subjektiv geprägt, und ich erlaube mir, sie auch subjektiv zu verarbeiten. Da die Körperempfindung nicht unterscheiden kann, ob es Realität ist (ob der andere anwesend ist) oder nur ein Vorstellungsfilm, ähnelt die innere Reaktion dem Dialog. So lasse ich diesmal den Vorstellungsfilm laufen und prüfe sein Wirken in mir anhand der inneren Reaktionen. Ich merke dann, wie der Film schwächer und nicht stärker wird - bis sich schließlich die aufwallenden Emotionen oder Gefühle beruhigen und die Vorstellungen sich wandeln. Diese an mich herangetragene Meinung oder Aussage über mich verliert ihre Macht. Ich werde von ihr nicht manipuliert und verfremdet. Ich bleibe frei.

So hat sich das alltägliche Gespräch oder eine üble Nachrede zu einer intensiven und fruchtbaren Meditation gewandelt. Beide haben mir geholfen, mit meinem Inneren vertraut zu werden.