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Neurosen

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Zu Beginn jeder Neurose steht ein von der Persönlichkeit nicht integrierbares kurzes Erlebnis oder eine längerfristige Erfahrung (Erziehung). Der mitschwingende Schmerz kann nicht integriert werden, er wird verdrängt und in den Hintergrund verschoben. Dort wird er isoliert. Die potenzielle Kraft oder Energie des nicht durchlebten Schmerzes und die zur Verdrängung aufzuwendende Kraft, steht danach für die Lebendigkeit der Persönlichkeit nicht mehr zur Verfügung.

Hinzu kommt, dass diese Verdrängung nur subjektiv verschwunden ist, objektiv verändert sie die Wahrnehmung von weiteren Erfahrungen und Erlebnisse im Sinne der schmerzhaften Erfahrung. Die Welt erscheint nun nicht mehr so, wie sie wirklich ist. Sie wird im Sinne dieses blinden Fleckes ins Negative umgedeutet. So verstärkt sich der blinde Fleck von Erlebnis zu Erlebnis. Damit ist der ursprüngliche Schmerz nicht größer geworden, doch die Panik davor kann durch diesen Irrtum ins Unermessliche steigen. Der Mensch leidet verstärkt an seinem Irrtum.
Hat dieser blinde Fleck einmal eine gewisse Kraft erreicht, dann verfälscht er jede Sicht nicht nur auf die Außenwelt, sondern auch auf die Innenwelt. Das kann so stark werden, dass das Selbstbild und damit die Reaktionen auf andere Menschen und für andere Menschen kaum nachvollziehbar sind. Die Entfremdung wird immer stärker und die für das Leben weiterhin zur Verfügung stehende Kraft immer geringer.
Nun bleibt nur noch der Sprung in das analysierende Denken und die Kontrolle der Panik. Jede eigene Handlung muss kontrolliert werden. Die Angst vor Kontrollverlust nimmt zu und die Panik wächst noch weiter.

Um die Wirkung der Neurose heraus zu arbeiten, ist dieses Geschehen etwas dramatisch dargestellt. Meistens verläuft dieser Prozess natürlich nicht so tragisch.

Zu II in der Zeichnung.
Der aus Fehldeutungen manifestierte Schmerz wird als Trauer empfunden, ist jedoch überwiegend durch Selbstmitleid geprägt. Das erlebte Selbstmitleid wird zwar subjektiv als echter Schmerz wahrgenommen, doch die anderen Menschen spüren das "Falsche" daran und reagieren überwiegend schnell genervt. Der Trost, den die "Opfer" erwarten, wirkt schal. Der Traurige ist enttäuscht und steigert sich noch mehr in das Selbstmitleid. Das Selbstmitleid ist also ein Pseudoschmerz, der dem Traurigen hilft, nicht an den echten Schmerz herankommen zu müssen.
Bricht beim Trauernden der echte Schmerz auf, so brauchen die anwesenden Menschen (--) nur anwesend zu sein, jeder verbale Trost ist unnötig und störend, denn der Trauernde spürt deutlich, dass in der Trauer die bisher eingefrorene Energie als belebendes Element frei wird.

Was nur ganz selten geschieht:
Die Persönlichkeit verschwindet hinter der erworbenen Neurose. Jetzt wäre die Panik berechtigt. Doch selbst die Panik wird dann nicht mehr empfunden. Die Persönlichkeit ist so hinter der Neurose versteckt, dass ein Umdenken oder eine Umkehr durch sich selbst nicht mehr möglich ist. Das geht dann nur durch eine Begegnung mit einem anderen Menschen, der die eigentliche Persönlichkeit hinter der Fassade und den Schmerz im Auge behält und sich nicht durch das in Folge der Fehldeutungen entstandene Blendwerk beirren lässt. Dieser Mensch muss den Mut haben, die Verdrängungen und Fehlhaltungen des betreffenden Menschen immer wieder anzusprechen und darin nicht locker zu lassen. Das ist sehr schwer.

Ein weiterer Irrtum liegt oft darin, dass für viele Menschen das analytische Denken zu wichtig ist. Sie überbewerten seine Kraft. Wäre eine Veränderung durch analytisches Denken möglich, dann brauchten die Therapien nur wenige Stunden zu umfassen. Das analytische Denken schaut in die Vergangenheit, die nicht mehr existent ist. Außerdem schaut es von außen auf den verdrängten Komplex. Diese Form des Denkens ist in keiner Weise in der Lage, in den Komplex einzudringen oder ihn sogar aufzulösen. Diese Vorgehensweise verstärkt sogar sehr oft die Ebene des Selbstmitleids. (Siehe II. in der Abb.)
Da der verdrängte Schmerz an jeder Situation der Gegenwart mehr oder weniger beteiligt ist, kann man ihn aus jeder Situation auch herausfiltern. Das ist natürlich ohne fremde Hilfe und ohne die entsprechende eigene Bereitschaft schwer.

Es gibt jedoch eine meditative Vorgehensweise, die uns ermöglicht, diesen Schmerz Schritt für Schritt zu lösen:

Wir müssen wach und mutig werden, diesen Schmerz in den gegenwärtigen und zukünftigen Situationen zu (---)finden und uns von ihm nicht überdimensional stören zu lassen und ohne uns in die konkrete Situation zu verwickeln. Hier liegt für viele ein entscheidender Irrtum: Sie wollen das tun, aber ängstigen sich immer wieder vor dem Schmerz. Sie vergessen, dass dies ein Schmerz ist, der erlöst werden will. Das geht nur über das Annehmen des Schmerzes. Man muss sich davor hüten, diesen Schmerz als Problem zu sehen. Nicht der Schmerz ist das Problem, sondern die Verdrängung.
Ist die Verdrängung einmal aufgelöst, vergisst man, dass dieser Schmerz jemals existiert hat. Die Freude darüber, dass die freigewordene Energie wieder zur Verfügung steht, bleibt bei dieser "Methode" aus. Es ist so, als hätte dieser verdrängte Schmerz nie existiert.
An diesem Punkt wird es nun sehr, sehr wichtig, dass wir unsere Denkstrukturen beobachten, denn sie drängen uns sonst dazu, die verbleibende Narbe wieder zu dem verdrängten Schmerz wachsen zu lassen. Die alte Gewohnheit ist da sehr verlockend. Geschieht dies, beginnt die Arbeit wieder von vorne.

Wir müssen uns damit abfinden, dass wir Menschen sehr kompliziert konstruiert sind und die Tendenz haben, alles noch komplizierter zu machen. Aber das ist der Preis, den wir für unsere Möglichkeiten zu bezahlen haben. Ich empfehle, uns so unkompliziert wie möglich sein zu lassen - ohne Verdrängung und ohne den Kopf in den Sand zu stecken.