Das, was wir im Alltag Angst nennen, ist "nur" neurotische Angst. Sie nährt sich aus der Weigerung, sich unangenehmen Situationen wirklich zu stellen. Die daraus entstehenden Vorstellungen verstärken die Neurosen noch. Wir projizieren, ohne es zu merken, verdrängte, unangenehme, schmerzhafte und bedrohliche Erlebnisse der Vergangenheit auf die augenblickliche Situation und verschaffen uns dadurch eine völlig falsche "Brille", mit der wir die gegebene Situation einschätzen. Diese Brille potenziert noch die neurotischen Ängste. Ein Teufelskreis entsteht.
Noch fataler wird es bei Auseinandersetzungen mit anderen Menschen. Sie spüren, dass wir nicht angemessen in der Situation reagieren, fühlen sich missverstanden und reagieren auf das Missverständnis mit Aggression, die wir wiederum missverstehen. Wir fühlen uns natürlich ungerecht behandelt und reagieren ebenfalls aggressiv. Die Situation eskaliert, jeder fühlt sich berechtigterweise nicht gesehen und ernst genommen. Wertungen, insbesondere Abwertungen des anderen (als Selbstschutz), setzen automatisch ein.
Bei Paaren:
Die Partner gehen in einer solchen Situation zumindest innerlich auf Distanz.
Dies hat wiederum zur Folge, dass die falschen Vorstellungen und Erwartungen
mächtiger und größer werden. Die Missverständnisse nehmen
zu und ein Entgegenkommen ist von einem bestimmten Punkt an nicht mehr möglich,
ein echtes Miteinander ist somit als Folge ausgeschlossen.
Das bedrohliche an den neurotischen Ängsten ist, dass sie eigentlich keine
echte Basis haben, aber die gleiche Körperreaktionen hervorrufen wie die
existentiellen Ängste. Der Körper erkennt nicht den Unterschied zwischen
echten und vorgestellten Situationen.
Da die neurotischen Ängste von den Vorstellungen genährt werden, kann
die Befreiung, so wie bei der existentiellen Angst, nicht erfolgen. Somit ist
auch der Körper irritiert und reagiert fortan auf ähnliche Situationen,
als wären sie eine berechtigte Ursache einer existenziellen Angst. Die
Folge ist, dass der Körper immer durch das „Nichtgelöstsein“
in Alarmbereitschaft bleibt und jede Situation erst einmal auf ihre Gefahren
hin abtastet. So regt schließlich der Körper unsere Vorstellungskraft
an, die entsprechenden falschen Vorstellungen zu erzeugen. Der Teufelskreis
ist geschlossen.
In dem Wort Vor-stellungen liegt an sich schon die Lösung dieses Problems.
Statt mich mit der Angst in der Situation zu stellen, steht zwischen mir und
der Situation etwas, es steht eben davor.
Mir muss nun klar werden, dass nicht die Situation das Unangenehme ist, sondern
das, was ich davor stelle. Dann merke ich, dass ich die Ursache meiner Ängste
bin und nicht die reale Situation.
Lösung:
1. Schritt:
Wir müssen in jeder Wertung die Zeichen der Neurose erkennen. Mit dem Bewerten
versuchen wir, eine verwickelte Situation zu unseren Gunsten zurechtzurücken,
zu vereinfachen, uns nicht zu stellen.
2. Schritt:
Die Körperempfindung beachten, ohne sich ihr auszuliefern. Trotz der Angstreaktion
sich der Situation stellen und realisieren, dass der befürchtete zusätzliche
Schmerz zumindest in der befürchteten Form nicht eingetreten ist.
3. Schritt:
Sich bis in die letzte Zelle hinein klar machen, dass keine existentielle, lebensbedrohliche
Gefahr in der Situation versteckt war.