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Der Schleier vor unseren Augen

Die Wachheit, das Gewahrsein (aus der Säule heraus (siehe „Erden“), erlaubt uns, den anderen als Du zu sehen und, was entscheidender ist, zu erleben. Über die dritte, die transpersonale Kommunikationsebene spürt dann der andere, dass er gesehen wird, dass wir mit ihm und bei ihm sind. Er fühlt sich als ICH erkannt und somit in seiner Tiefe erfüllt und anerkannt. Aus dieser Tiefe heraus kann nun seine Heilung stattfinden.

Doch davor sind einige Hürden zu nehmen.
Das in der Kindheit nicht gesehene und somit nicht erkannte ICH ist für mich das entscheidende Leid fast aller Menschen des Westens. Wir wuchsen bei Eltern heran, die selbst auch nicht gesehen, sondern von ihren Eltern nur versorgt wurden und die somit uns Kinder auch nur versorgten, aber nicht sehen konnten! Um diesen Schmerz zu kompensieren, suchen wir im Außen nach dieser fehlenden Er-Füllung, indem wir alles tun, um Bestätigung zu bekommen. Doch weil die Bestätigung nicht das GESEHEN –werden ist, bleiben wir im Innern süchtig nach dem Du und kompensieren weiter im Außen.
Mehr noch: Nach vielen bewussten und unbewussten Enttäuschungen, die wir durch unsere Angst vor Enttäuschungen selbst erzeugen, kehrt sich das Ganze um: Wir haben schließlich eine entsetzliche Angst davor, gesehen zu werden. Wir sind stets misstrauisch und auf der Hut, denn wir fürchten uns vor neuen Verletzungen, die erzeugt werden, wenn wir wieder einmal nicht so gesehen und akzeptiert wurden, wie wir sind. Von nun an drehen wir uns im Kreis.

Diese anscheinend unstillbare Sehnsucht danach gesehen zu werden, und gleichzeitige entsetzliche Angst vor dem Gesehen-werden, nenne ich „Den Schleier vor unseren Augen“.
Schauen wir mit diesem „Schleier“ vor unseren Augen, blicken wir ständig in unsere Gedanken und Vorstellungen, doch wir sehen den anderen nicht. Wir bleiben in unserem Selbstbild und somit selbstbezogen. In diesem Fall können wir den anderen sogar intellektuell beraten, doch der andere spürt, dass er nur ein Objekt für uns bleibt und kein „DU“. Und somit wird er immer in seinen Mechanismen stecken bleiben und nicht erlöst werden.
Beispiel: Viele von uns können ein Lob nicht annehmen. Wir reagieren mit Erklärungen und spielen die Ursache des Lobes herunter. Würden wir das Lob zulassen, würden wir tief bewegt werden und eventuell weinen. Diese „Blöße“ wollen wir uns nicht geben, also bleiben wir verschlossen. Der Körper signalisiert diese Abwehr, indem er sich vom Gegenüber leicht abwendet, der Kopf sich verlegen neigt und ein unsicheres, verkrampftes, oft grimassenhaftes Lächeln sich auf unseren Lippen bildet. So können wir schon daran erkennen, dass wir nicht erwarten, gesehen zu werden, wir können es auch nicht annehmen. Erst wenn wir selbst im DU sind, fühlt sich unsere Seele angesprochen und antwortet, indem sie sich mit der anderen Seele im „DAZWISCHEN“ vereinigt. Danach kann das Lob angenommen werden und die frei werdenden feinen Energien der Freude schmelzen alte Wunden. Ein Zeichen dafür ist ein schlichtes Danke und ein sanftes, monalisahaftes Lächeln.

Leben wir im Du, so sind wir sogar in irgendeiner Form unabhängig von den anderen. Wenn der andere unser Du nicht annimmt, bzw. annehmen kann, spüren wir es sofort und bleiben bei uns. Wir können warten und sind nicht verzweifelt, wenn wir in dieser Tiefe „allein“ bleiben. Denn wir haben unsere Geborgenheit, unser „Zuhause“ in unserem Innern gefunden. So fühlen wir uns nicht allein. Wir können zwar ein-sam sein, sind jedoch nicht allein.
Jetzt ist der Schleier vor unseren Augen verschwunden.

Der Weg dorthin verläuft nie über den Intellekt oder die Emotionen. Er ist allein dem Körper und seiner Empfindungsebene vorbehalten. Zu ihr müssen wir mehr und mehr das Vertrauen wieder aufbauen, das uns in der frühesten Kindheit verloren gegangen ist.

Ein Kommentar der Korrekturlesenden:
Ja, Rudi, da hast Du den Kreislauf, in dem ich mich immer und immer wieder befinde, sehr gut dargestellt. Immer wieder bläht mein Ego sich auf, dann ist es wieder, was es ist. Da es keine Verbindung zwischen diesen Bereichen gibt, kann ich mir etwas anderes nicht vorstellen, als das, was gerade ist. Und dadurch kämpfe ich immer wieder. Das Wissen und das Vertrauen, einfach nur beharrlich im Körper zu bleiben, immer wieder diesen Kontakt zu suchen, anstatt mentale Eskapaden zu unternehmen, sind leider auch immer wieder verschwunden.