1. Solange das Licht zirkuliert, bleibt das Chi von Yin-Yang im Himmel und auf Erden unfehlbar vereint. Dies eben ist reines Erkennen, d. h. das reine Chi. Was Reines Denken genannt wird, ist nichts anderes denn dies.
Kommentar: Hier wird etwas verheißen, das unerfahrene Menschen in großes Leid werfen
kann, denn
erst wenn der Mensch bereit ist, die blockierten Yinkräfte, die sich in ihm im Laufe seines Lebens als Verdrängungen
in Körper, Psyche und Denken versteckt haben, anzuschauen und zuzulassen, sollte er beginnen sich auf das
Zirkulieren des Lichtes einzulassen. Doch ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass es ohne einen
erfahrenen Meditationslehrer kaum möglich ist, bzw. sehr unangenehm werden kann. Eine Hilfe zur Befreihung der
blockierten Yin-Kräfte sollen meine Artikel dieser Website sein.
2. Wenn man sich diesem Geheimnis zu üben beginnt, so ist es (Reines Denken, reines Chi, Erkenntnis) wie ein Nicht-Seiendes im Sein. Wird das Werk lange genug und in richtiger Weise fortgeführt, so entsteht neben dem natürlichen Leib ein zweiter Leib: Es ist wie ein Sein im Nicht-Sein.
Kommentar: Das Nicht-Seiende ist wie das Sein im Nichtsein. Damit ist kein nihilistischer Zustand
gemeint, sondern ein Zustand, wie wir ihn nicht kennen. Ich weiß heute, dass ich in meiner Kindheit oft an
diesen Punkt kam. Ich vermutete, dass die Kinder bis zu ihrem 4./5. Lebensjahr in diesem angesprochenen Zustand
leben, ohne dass es ihnen bewusst ist. Danach entfernen sie sich davon. In der Pubertät flammt er noch einmal
hin und wieder auf (viele schreiben dann Gedichte), doch dann entfernen sich die meisten Menschen immer weiter davon
weg. Es bildet sich ihr endgültiges Ego heraus. Erst verzweifeltes Leid oder ein innerer Drang lässt in
ihnen wieder die Ahnung aufkeimen, dass es noch etwas anderes gibt als die Alltagssorgen und –geschichten.
Der „zweite Leib“ wird häufig Ätherkörper oder feinstofflicher Körper genannt. Es
ist der eigentliche menschliche Leib und überdauert den Tod des physischen Körpers. Allerdings verändert
er sich im Laufe dieser Meditationsarbeit so stark, dass er den physischen Leib dominiert und Aufenthaltsort des
verfeinerten Bewusstseins werden kann.
Nach hundert Tagen konzentrierten Übens wird das Licht schließlich rein und wandelt sich zum
Geistfeuer. Nach dem Werk der hundert Tage entwickelt sich inmitten des Lichtkerns der neue Lebenskeim des
Reinen Yang, aus dem die Hirsenperle entsteht.
Es ist wie bei der Vereinigung von Frau und Mann, aus der sich ein Embryo entwickelt, d. h. man muss ruhig
darauf warten. Das Zirkulieren des Lichts nämlich ist die Feuer-Periode.
Kommentar: Die hundert Tag sind nicht als konkrete Zeitangabe anzusehen; höchstens als
Zeitbegrenzung. Allerdings braucht ein Mensch, wenn er die meisten seiner neurotischen Anteile erlöst hat,
keine hundert Tage, um diesen angegebenen Prozess zu durchschreiten.
Ich möchte an dieser Stelle einen neuen Aspekt anbieten:
Das Maß für die Reinheit der Persönlichkeit (erlöste neurotische Anteile) kann jeder Übende
sehr gut an dem Zustand seiner Muskulatur festmachen. Legt sich der Übende hin und erspürt den Zustand
seines Körpers, deutet jede Verspannung auf ein nicht gelöstes Problem hin. Selbst wenn wir schon durch
die Feuerperiode hindurchgegangen sind, erscheinen die Verspannungen, denn hektisches Denken, ein Schreck im Straßenverkehr
oder Reaktionen neurotischer Mitmenschen uns gegenüber, äußern sich immer als Verspannungen auf
unserer körperlichen Ebene.
Diese Verspannungen lösen sich beim Einfließen des „Reinen Yang“ als Zuckungen, grundloses
Weinen oder Verwirrung (Feuer-Periode). Erlauben wir uns die Zuckungen, das Weinen oder die Verwirrung, sind wir
erstaunt wie klar, lebendig oder frisch unser Allgemeinzustand sein kann. Doch vor dieser Feuerperiode haben viele
Meditierende angst, denn sie verlieren in dieser Phase die Kontrolle über ihren eigenen Zustand. Ohne den Mut
zu diesem Kontrollverlust, kann keine Umwandlung stattfinden. Durch Meditation bekommt man nichts hinzu, sondern
muss bereit zur Veränderung sein. Das Ergebnis der Veränderung kennt man allerdings vorher nicht, also hören
viele aus Angst mit der Meditation auf oder flüchten in ein ideelles Weltbild.
Gelingt es uns, den Mut aufzubringen, das Einströmen der Yangkraft (Chi) zuzulassen, wird die „Erfrischung“
bis in alle Zellen des Körpers dringen können; selbst das Gehirn wird dann geklärt und für
einströmende Erkenntnisse (Geistfeuer-Hirsenperle-Embryo) aufnahmefähig.
Gehen wir weiter, so spüren wir (manche sehen es auch) wie sich in uns etwas zu kristallisieren versucht. Dies
ist die zweite große Hürde für die Alltagspersönlichkeit, denn nun muss sie endgültig
bereit sein, ihre „Macht“ aufzugeben und bereit sein zu „sterben“. Hierzu haben allerdings
die wenigsten Menschen das Vertrauen.
3. Inmitten der großen Wandlung ist es das Yang-Licht, das als oberster Herrscher gilt. In der Welt der
Erscheinungen ist das die Sonne.
Für die Menschen ist es das Auge. Nichts entspricht ihm besser als der Geist (Urgeist) und das Bewusstsein
(bewusster Geist), das sich so schnell verströmt.
Daher beruht das Tao der Goldenen Blüte ausschließlich auf der Methode der Umkehr.
Kommentar: Dieses eben erwähnte Vertrauen bezieht sich auf die Ahnung, dass es ja nicht darum
geht, etwas Neues zu finden, sondern dass wir (als Persönlichkeit) zu dem zurückkehren, das wir waren,
bevor sich die Persönlichkeit als Ego zusammensetzte. Das bedeutet demnach, dass wir lernen müssen, uns
als Bewusstsein von unserer Persönlichkeit wieder zu verabschieden. Doch davor liegt die Aufgabe, diese
entstandene Persönlichkeit erst mit ihren aus Vererbung, Gewöhnung und Erziehung festgelegten Mechanismen
zu erkennen.
Dazu verhelfen uns viele Meditationsübungen oder Therapieformen. Als gemeinsame Basis gelten für mich
folgende Kräfte: Beachtung der Atmung, Schulung des Empfindungsbewusstseins und das Hin-schauen, also wie im
Text angesprochen: die Augen.
4. Das Kreisen des Lichts ist nicht bloß ein Kreislauf der körperlichen Lebenskraft, sondern ein Kreislauf des wahren Chi, des Schöpferischen und der Wandlung (des reinen Yang). Es heißt nicht bloß, einer Ablenkung durch den Augenblick Einhalt zu gebieten, sondern es bedeutet, unvermittelt den Zyklus von Tausenden von Äonen zu unterbrechen. Es ist daher menschliche Zeitmessung, zu sagen, ein Atemzug entspricht der Dauer eines Jahres; heißt es dagegen: ein Atemzug entspricht hundert Jahren, so ist dies die lange Nacht der Neun Pfade.
Kommentar: In diesem Absatz wird ganz deutlich darauf hingewiesen, wie mächtig und umwälzend diese Übung ist. Man möge es bitte beachten und nicht darüber hinweg lesen.
5. Mit seinem ersten Schrei bei der Geburt beginnt der Mensch sich den Umständen seines Lebens anzupassen. Wenn er bis ins hohe Alter niemals zurückschaut, dann verfällt und erlöscht die Kraft des reinen Yang-Chi. Dieses Verfallen ist gemeint mit der neunfachen Unterwelt.
Kommentar: Hier wird auf die Möglichkeit jedes Menschen hingewiesen, sich dem eigentlichen Sinn des menschlichen Lebens zuzuwenden: Auf dem Weg zur Goldenen Blüte mit Hilfe der reinen Yangkraft zurückzugehen und sich nicht „den Umständen seines Lebens anzupassen“ – und somit ein rigides Ego zu entwickeln.
6. Daher heißt es: Reines Denken ermöglicht das Fliegen, aber bloße Emotion bringt einen zu
Fall.
Der Tao-Sucher, der wenig denkt und sich seinen Emotionen überlässt, sinkt tief. Nur reine Innenschau
und ruhiger Atem (Übung) bringen den Menschen Erleuchtung. Dazu bedarf es der Methode der Umkehr.
Im Buch Yin Fu Ching heißt es: Der Augenblick der Übereinstimmung ist im Auge.
Im Huang Ti Su Wen heißt es: Die Lebenskraft des menschlichen Körpers strömt empor zur offenen
Leere.
Das weist darauf hin: Wer dies versteht, der erkennt, dass darin Unsterblichkeit und die Überwindung dieser
Welt beschlossen liegt.
Darauf allein zielen alle drei Lehren (Konfuzius, Buddha und Tao).
Kommentar: Reines Denken möchte ich mit Bewusstheit (nicht Reflexion) übersetzen. Die bloße Emotion entspräche dann dem unbewussten Reagieren auf augenblickliche Situationen. Dem kann man entgegenwirken durch Innenschau. Das heißt konkret: Wir schauen in den Raum unseres Körpers und nehmen wahr, was geschieht, mehr nicht. In der ersten Zeit des Meditierens kann das sehr unangenehm sein, denn verdrängte Erlebnisse werden wach, doch im Laufe der Zeit beruhigt sich allmählich die Atmung von selbst und damit beruhigen sich die Emotionen und das Gehirn produziert nicht mehr so hektisch die vielen Gedanken. Nehmen wir nun das Kreisen des Lichtes hinzu, so wird es in uns stets feiner und heller. Wir werden reiner und heller.
7. Das Licht ist weder ausschließlich im Körper noch außerhalb des Körpers. Berge und Ströme,
die große Erde und darüber das Leuchten von Sonne und Mond – all dies ist dieses Licht.
So ist es also nicht allein im Leib.
Gutes Hören,
scharfes Sehen,
Einsicht und
Verstand und alle
Bewegungen gehören ebenfalls zu diesem Licht.
So ist es also auch nicht nur außerhalb des Leibes.
Der Lichtkranz des Himmels und der Erden erfüllt das gesamte unermessliche Weltall.
Gleichermaßen durchstrahlt die Lichtfülle des Leibes Himmel und Erde.
So wie das Licht zu kreisen beginnt, kreisen gleichzeitig Himmel und Erde, Berge und Ströme und alle Dinge
mit ihm.
Kommentar: Hier wird noch einmal ausdrücklich hervorgehoben, dass es nicht „unsere“ goldene Blüte ist. Das bedeutet, jede Form von: „Ich suche die Erleuchtung.“ Oder: „Der oder die ist erleuchtet“, ist blanker Unsinn. Es ist das Bewusstsein, dass sich in den Raum des Lichtes hin entwickelt. Demnach ist es unabdingbar, dass wir lernen uns mit unserem Bewusstsein zu identifizieren. Gelingt uns dies, dann erleben wir die Lebendigkeit und Freude, den Humor und die Freiheit, die mit dem Licht identisch sind als ICH. Aber nicht als „ich und die anderen“. Jede Form der Eitelkeit würde demnach diesem letzten Schritt widersprechen.
Die Lebenskraft des Menschen strömt empor zu seinen Augen, in denen Schlüssel und Riegel seines Leibes geborgen sind.
Kommentar: Eigentlich sind es nicht die Augen, sondern Bereiche im Raum des Kopfes. Diese Bereiche verbinden sich dann mit der Chikraft des Beckens und beide gemeinsam öffnen das mystische Herz.
Meine Freunde bedenkt dies wohl.
8. Wenn ein Mensch einen Tag lang sich nicht im Sitzen übt, verströmt dieses Licht unaufhaltsam und unwiederbringlich. Wenn sich jedoch ein Mensch eine Zeitlang im Sitzen übt, vermag er Tausende von Äonen und ungezählte Lebensphasen zu bewältigen, und die Myriaden der Erscheinungen kehren zur Stille zurück. Dies übersteigt wahrlich unser Verständnis – es ist geheime Erkenntnis.
Kommentar: Hier wird wieder auf die in den vorigen Kapiteln schon erwähnte Stille aufmerksam
gemacht, die einsetzt, wenn wir den Raum akzeptieren, der sich aufgrund der Durchdringung des Körpers mit dem
Bewusstsein bildet.
Es wird aber auch vor dem sich in den Alltag Verlieren gewarnt, denn dann verlieren wir auch den Kontakt mit diesen
geistigen Ebenen und schließlich vergessen wir sogar, dass sie existieren. So bleibt uns nichts anderes übrig,
als immer wieder übend zurückzukehren. Gerade hierzu gelten alle Artikel meiner Website.
9. Wenn man zu üben beginnt, muss man wissen, dass man zur Tiefe nur aus dem Seichten her den Zugang gewinnt zum Feinen vom Groben her. Der Wert der Übung liegt in der Ausdauer, vom Anfang bis zum Ende muss man anhalten ohne Unterbrechung, ungeachtet aller Wechsel, die der Suchende empfinden mag wie Wärme und Kühle des Wassers, das er trinkt. Das Wesentliche ist, zur Schrankenlosigkeit des Himmels und zur Weite des Meeres vorzustoßen. Das So-Sein der Myriaden von Erscheinungen besteht eben im Erreichen dieses Zieles.
Kommentar: Diese Sätze deuten darauf hin, dass wir Übenden darauf achten müssen,
nicht in die Falle des Zieles zu geraten. Wir müssen akzeptieren, dass wir seicht und grob sein können und
dies auch beachten. Hier gibt es nur Wahrnehmung dessen, was im Augenblick in uns präsent ist. Für jede
Gestalt oder Erscheinung auf der Ebene der Schöpfung gilt es letztendlich irgendwann diesen Weg zu gehen.
Die folgenden Anweisungen sind so klar gefasst, dass sich eigentlich ein Kommentar erübrigt! Ich biete trotzdem meine eigenen Gedanken im Anschluss der Texte 10 -16 an:
10. Was die Weisen aller Zeiten sich übermittelten, war nie etwas anderes als Spiegelung des Lichts.
Konfuzius sagt “vollkommene Weisheit“.
Buddha nennt es „geistige Meditation“ und das
Tao spricht von „innerer Schau“.
Aber alle meinen sie dasselbe, eben diese Methode.
Über dieses Wort, Spiegelung des Lichtes, wird viel geredet, aber verstanden und erfahren wird es selten. Denn
Spiegelung (das zudem Rückkehr bedeutet) heißt Heimkehr zum Anfang, wo Form und Geist im Bewusstsein noch
nicht zu Wissen und Verstehen auseinander gefallen sind. Dies ist nichts anderes als das Suchen nach der Ganzheit
innerhalb unseres Leibes, die war, bevor Himmel und Erde entstanden.
Wenn heute ein Mensch sich auf eine oder zwei Stunden zur Meditation hinsetzt und dabei sich selbst und seine
Umgebung bedenkt (Dinge, Verhalten, Gedanken usw.), so mag er das Spiegelung des Lichts nennen. Wie aber soll er auf
diese Weise zum Höchsten gelangen?
11. Die Meister des Buddhismus und des Taoismus lehrten, man solle den Blick auf die Nasenspitze richten. Das heißt
jedoch nicht, man solle seine Gedanken an die Nasenspitze heften noch seinen Blick krampfhaft auf die
Nasenspitze konzentrieren. Sondern es bedeutet, man solle seine Gedanken auf die Gelbe Mitte hin richten. Wo der
Blick ist, da ist auch der Geist. Wie kann ein Auge nach oben und das andere nach unten blicken? Und wie können
beide in rascher Folge hinauf und hinunter schauen?
Alle diese Fragen bedeuten, dass man statt nach dem Mond hinzuschauen mit dem Blick am Finger hängen
bleibt, der darauf hinweist.
12. Was denn soll das alles bedeuten?
Antwort: Der Ausdruck „Nasenspitze“ ist sehr geschickt gewählt. Die Nase soll den Augen als
Richtlinie dienen, nichts weiter. Wenn man zu Beginn der Übung den Blick nicht auf die Nasenspitze richtet,
so öffnet man entweder die Augen zu weit oder man senkt die Lider zu tief. Öffnet man die Augen zu weit,
verliert man die Kontrolle über den Blick und wird abgelenkt durch das Geschaute, schließt man sie
aber zu sehr, so verliert sich der Blick nach innen und man gerät leicht in träumerische
Versunkenheit. Nur wenn man den Vorhang (Lider) im richtiger Weise halbwegs senkt, erblickt man die Nasenspitze,
die auf diese Weise zur Richtlinie für den Blick wird. Deshalb heißt es, man soll den Vorhang richtig
hängen, um das Licht ungehindert einströmen zu lassen, ohne sich weiter darum zu kümmern.
13. Zu Beginn der Übung soll man an einen ruhigen Ort gehen und seine Augen in der rechten Weise blicken lassen, ohne sich dann weiter darum zu bemühen. Es sei wie bei einem Maurer, der ein Senkblei aufhängt und seine Arbeit danach richtet, ohne sich weiter um die Leine zu kümmern.
14. Chih-kuan ist eine buddhistische Lehre und war ursprünglich kein Geheimnis.
Man richte seinen Blick auf die Nasenspitze, sitze aufrecht in gelöster Haltung und konzentriere den Geist
auf die Mitte der Bedingungen.
Damit ist nicht unbedingt die Mitte des Kopfes gemeint. Sondern es heißt nichts anderes, als seine
Gedanken auf den Punkt zu sammeln, der genau in der Mitte zwischen den beiden Augen liegt.
Das Licht ist beweglich wie ein springender Fisch. Wenn man seine fliehenden Gedanken sammelt und auf die Mitte
zwischen den beiden Augen konzentriert, so strahlt das Licht von selbst hinein.
Man braucht seine Aufmerksamkeit gar nicht besonders auf den Palast der Mitte zu richten. In diesen wenigen
Worten liegt der Kern der Wahren Lehre beschlossen. Für alles weitere beim Üben, vom Eintreten in die
Stille bis zum Wiederverlassen der Stille, kann man sich an die Vorschriften des Buches Chih Kuan halten.
15. Die beiden Wörter Bedingung und Mitte sind von tiefer Bedeutung. Die Mitte, das Zentrum, ist allgegenwärtig,
und jedes Ding der weiten Welt ist darin beschlossen.
Das Wort weist hin auf den Augenblick der Übereinstimmung (Chi) zwischen Schöpfung und Wandlung. Läßt
man sich leiten davon (von Chi), so tritt man durch die Pforte (der Lehre). Bedingung bedeutet, diese Führung
(durch Chi) zu betrachten als Anfang und Ende, ohne Verhaftung und Fesselung. Die Bedeutung dieser beiden Worte
ist zugleich von höchster Dynamik und Subtilität.
16. Die beiden Begriffe von Chih – Kuan dürfen ursprünglich nicht getrennt werden, sie bedeuten nämlich
samadhi und prajna. Wenn nun ein flüchtiger Gedanke auftaucht, soll man nicht krampfhaft an der Meditation
festhalten zu der man sich hingesetzt hat, sondern man soll die Natur dieses Gedankens untersuchen, wie er
entstand, wohin er entschwindet.
Wenn man auf diese Weise einem Gedanken genau und gründlich nachgeht, erfährt man seine
Wesenlosigkeit – dies ist der Ort seines Entstehens. Nun braucht man sich nicht länger damit zu
befassen.
„Ich suchte nach dem Geist und konnte ihn nicht finden“ (fand ihn im Nichts, fand ihn im Wesenlosen,
konnte seine Spur nicht finden).
„So ließ ich deine Seele Frieden finden!“
Dies ist die richtige Kontemplation. Was dem nicht entspricht, ist falsch.
Man hat auf diese Weise das Nicht-Erfahrbare erfahren, soll man zu seiner anfänglichen Übung zurückkehren
und sie wie den Faden eines Kokons unaufhaltsam weiterspinnen. Chih (den streunenden Gedanken Einhalt gebieten)
soll gefolgt werden und Kuan (Kontemplation und Weisheit), und auf Kuan muss wiederum Chih folgen. Dies und
nichts anderes ist die „zwiefache Übung von Samadhi und Prajna“, und eben dies ist das Kreisen
des Lichts. Kreisen ist Chih und Licht ist Kuan.
Chi ohne Kuan ist Kreisen ohne Licht
Kuan ohne Chi ist Licht ohne Kreisen.
Darauf habt Acht.
Meine Gedanken zu den Absätzen 10 - 16
Zu 10
Die Weisen aller Zeiten und Kulturen sprachen über nichts anderes als über die „Spiegelung des
Lichts.“ Jeder verwendete natürlich die Bilder und Worte seiner Kultur aber alle äußerten
sich über das gleiche Licht: die Goldene Blüte.
„Spiegelung des Lichtes“ bedeutet demnach: Die Schöpfung ist nur das Bild in einem Spiegel und Tao
ist der Spiegel. Der Spiegel kann durch kein Bild befleckt werden. Er bleibt immer rein.
Der Weg zu diesem Tao (Spiegel) verläuft über die „innere Schau“: Nach innen sehen („Wissen
und Verstehen“). Allmählich muss das Sehen zum Schauen werden (es bildet sich der Beobachter heraus) und
wandert zur Schau (Erkenntnis) und schließlich zum reinen Sein (Licht).
Die Formen der Schöpfung lösen sich wieder im Geist auf. Wir wandern vom Baum der Erkenntnis (des Wissens)
zum Baum des Lebens (Sein) zurück. Besonders deutlich wird das Ende des Weges im Begriff der Ganzheit: Man
bedenke, es kann nicht zwei Ganzheiten geben.
Zu 11
Wenn alle Erscheinungen Teile in der Ganzheit sind, so können wir mit unserem Weg beginnen wo wir wollen, wir
werden immer in der Ganzheit landen. Daher kann es unendlich viele Wege geben. Das ist für Anfänger sehr
verwirrend. Die Taoisten bieten in dem kommentierten Buch die Schau auf die Nasenspitze an. Meiner Meinung konnten
sie das auf Grund ihrer Lebensweise und -einstellung. Wir modernen Menschen müssen viel Vorarbeit leisten, um
nicht mit dieser Übung in geistiger Verwirrung zu landen. (Siehe die Artikel über das Erden auf dieser
Website.)
Die folgende Methode sollte deshalb mit Vorsicht angegangen werden!
Wir müssen vermeiden, uns krampfhaft auf die Nasenspitze zu konzentrieren, sondern lernen sie als Richtschnur
zu nehmen. Schauen heißt, wir nehmen die Nasenspitze nur als Orientierung. Tun wir dies, so entdecken wir,
dass in rasender Folge Gedanken und Bilder vom Gehirn produziert werden. Das geschieht fortlaufend (auch im Schlaf),
doch im Alltag bemerken wir es normalerweise nicht. Wir entdecken dann, es sind nicht „unsere“ Gedanken,
denn wir wollen ja gar nicht denken. Gleichzeitig dürfen wir uns dieses Denken nicht verbieten. Denn dadurch würden
wir nicht mehr schauen.
Lernen wir diese Gedanken nicht zu beachten, so entdecken wir, dass wir gleichzeitig nach Außen und Innen
schauen und dieser Blick kommt aus einem bestimmten Bereich des Kopfes: den Bereich der goldenen Mitte. An dieser
Stelle flammt irgendwann ein für viele unsichtbares Licht auf: die Goldene Blüte. Gleichzeitig entzündet
sich ein ebenso unsichtbares Licht im Herzen und im Unterbauch. Die Verbindung dieser Drei mit der Verlängerung
in die Erde und über den Kopf ist unsere goldene Mitte. Unsere Empfindung geht zu diesem Zeitpunkt über
den Raum des Körpers hinaus. Daher nenne ich diese energetische Verbindung in uns „die Säule“,
mit der wir uns mehr und mehr identifizieren sollten, um auch im Alltag in der Meditation sein zu können.
„Wo der Blick ist, da ist auch der Geist.“ Das ist ein entscheidender Satz, den man nie vergessen sollte.
Ist der Blick außen, sind wir als eigentlicher Mensch (Geist) außen, ist der Blick innen, sind wir
innen. Ist der Blick in den Knien, sind wir in den Knien usw. Dies aber immer nur unter dem Blickwinkel des
Schauens.
In der ersten Zwischenstufe zeigt sich der Geist als Bewegung in uns, das ist die Chikraft, die immer heilende
Kraft. Im folgenden Satz wird indirekt auf die Bedeutung der Schau hingewiesen: „Wie kann ein Auge nach oben
und das andere nach unten blicken? Und wie können beide in rascher Folge hinauf und hinunter schauen?“ Es
wird darauf hingewiesen, dass wir so nie die Schau erreichen. Die eigentliche Schau öffnet uns zum Zentrum des
Gehirns hin und aktiviert Gehirnregionen, die ohne Schau recht unbelebt blieben.
Zu 12
Der Ausdruck „Nasenspitze“ ist sehr geschickt gewählt. Denn schauen wir in Richtung der
Nasenspitze, ist der Blick gleichmäßig nach Innen und Außen gerichtet und beide Augen blicken sanft
und entspannt. Dadurch wandern wir mit dem Bewusstsein immer tiefer in den Kopf, und das „dritte Auge“
zwischen den beiden Augenbrauen und in der Stirn wird aktiviert. Das deutet sich oft als Kribbeln, Jucken, oder gar
leichtes Beben an. Jetzt wird die von mir empfohlene Erdung besonders wichtig, sonst geraten wir in esoterische
Spinnereien! „Die Nase soll den Augen als Richtlinie dienen, nichts weiter. Verliert sich der Blick nach
innen, gerät man leicht in träumerische Versunkenheit.“ Darauf ist zu achten. Trotzdem rate ich die
Augen zu schließen, denn sonst geraten wir aus Gewohnheit zu schnell in die Vorstellungen. Wir müssen
lernen dabei gleichzeitig wach auf die Ereignisse im Innern zu achten, und sollten sie noch so simpel sein. Dann
kann das Licht „ungehindert einströmen, ohne dass wir uns weiter darum kümmern müssen.“
Öffnet sich die Stirn zwischen den Augenbrauen, wird die feinstoffliche Ebene für uns als Bewusstsein frei zugänglich.
Zu 13.
Nun folgt ein sehr gutes Bild für die innere Einstellung beim Schauen:
„Es sei wie bei einem Maurer, der ein Senkblei aufhängt und seine Arbeit danach richtet, ohne sich weiter
um die Leine zu kümmern.“
Zu 14
„Lass den Geist auf der Mitte der Bedingungen ruhen, die zwischen den beiden Augen liegt, dann öffnet
sich unsere Mitte.“ Grundbedingung: Den Geschehnissen in uns, mögen sie körperlicher, psychischer
oder mentaler Art sein vollste Aufmerksamkeit zu schenken. Das ist eine hohe Anforderung – jetzt gilt es, sich
auf das einzulassen, was in uns aufsteigt – ohne ein Ziel anzustreben. Gelingt uns das, dann nähern wir
uns immer mehr dem Tao.
Zu 15
„Die Mitte, das Zentrum, ist allgegenwärtig, und jedes Ding der weiten Welt ist darin beschlossen. Die
Bedeutung dieser beiden Worte ist zugleich von höchster Dynamik und Subtilität.“ (Siehe oben unter
Ganzheit)
Zu 16
„Wenn ein flüchtiger Gedanke auftaucht …, gilt es, die Natur dieses Gedankens zu untersuchen.“
Hier wird die Methode differenziert! Mit der Zeit lernt man, sich von den Gedanken nicht mehr ablenken zu lassen.
Man hat erkannt, dass das Gehirn mechanisch „unsere“ Gedanken ohne unser bewusstes Zutun produziert: Im
Buch nennt dies der Meister „wesenlos“. Bleibt man im Empfindungsbewusstsein, wird die Produktion dieser
Gedanken allmählich langsamer und man lernt, eigene Gedanken zu erschaffen (kreativer zu werden).
„Chih (den streunenden Gedanken Einhalt gebieten)“ Achtung „gebieten“ ist ein falsches Wort!
Besser wäre es, sie zuzulassen, ohne sich (als Bewusstsein) einfangen zu lassen.
„Kuan (Kontemplation und Weisheit)“, ist das Schauen.
„Kreisen ist Chih und Licht ist Kuan.“ Beides muss gemeinsam da sein. Ist das nicht der Fall, dann wird
es gefährlich, denn das Chih reißt die Psyche mit und die Gedanken rasen. Hier gilt wieder meine
Anregung, besonderen Wert auf die Vorbereitung der Psyche zu legen.
„Chih ohne Kuan ist Kreisen ohne Licht
Kuan ohne Chih ist Licht ohne Kreisen.
Darauf habt Acht.“ Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass Kuan Kontemplation und Weisheit ist und
Chih, die sich manifestierende Kraft.